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Die Vorstellung, dass der gescheiterte Kanzlerkandidat Schulz die Sozialdemokraten in eine Neuwahl führt, schreckt viele Abgeordnete.
© AFP

Sozialdemokraten: „Alle drei Optionen sind schlecht“

In der SPD-Fraktion stößt das Nein zur großen Koalition auf Skepsis, die Angst der Sozialdemokraten vor Neuwahlen ist groß.

Wenn alle um den heißen Brei herumreden, braucht es eine oder einen mit dem Mut, das beschwiegene Problem offen anzusprechen. In der SPD-Fraktionssitzung am Montag war es die bayerische Abgeordnete Anette Kramme, die zum Thema machte, was derzeit viele in der SPD umtreibt. In Anwesenheit von Parteichef Martin Schulz wies die parlamentarische Staatssekretärin im Arbeitsministerium darauf hin, dass die SPD mit einem unerfahrenen Generalsekretär und einer neuen Bundesgeschäftsführerin in Neuwahlen gehen müsse und noch gar nicht geklärt habe, wer Kanzlerkandidat werden solle. Danach sei es sehr still gewesen, berichten Teilnehmer.

Kurz vor der Sitzung hatte Martin Schulz vor der Presse im Willy-Brandt-Haus mit der Forderung nach Neuwahlen auf das Ende der Jamaika-Sondierungen reagiert. Der Vorsitzende verwies stolz darauf, dass Präsidium und Parteivorstand einstimmig seiner Linie gefolgt waren, wonach die SPD auch angesichts der neuen Lage eine Neuauflage der großen Koalition in dieser Legislaturperiode weiter ausschließt.

Doch die einhellige Zustimmung bedeutet keine Stärkung des angeschlagenen Parteichefs. Denn die Vorbehalte gegen ihn in der SPD sind nicht kleiner geworden seit Sonntag. Und die Aussicht, dass der gescheiterte Kanzlerkandidat in wenigen Monaten die SPD erneut in Wahlen führen könne, macht vielen Angst. Das wurde auch am Montag in der Fraktion deutlich.

30 Abgeordnete monieren das Nein

Hinter verschlossenen Türen monierten nach Angaben von Teilnehmern rund 30 Abgeordnete die schnelle Festlegung von Schulz auf ein Nein ihrer Partei zum Regieren mit Merkel – die Deutlichkeit der Kritik sei eine Abrechnung mit dem Parteichef gewesen, sagen manche. Auf Ablehnung stieß auch, dass der SPD-Chef Neuwahlen verlangte, noch bevor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Stellung bezogen hatte.

Tatsächlich sieht sich die SPD zusehends in die Ecke gedrängt. Sie verweigere sich ihrer Verantwortung in Krisenzeiten, heißt der Tenor vieler Kommentare. Schmerzhaft für die Genossen: Die Kritiker können sich auf die Mahnung des langjährigen SPD-Politikers im Schloss Bellevue berufen, der alle Parteien zu Gesprächen aufgefordert hatte.

Selbst der Hamburger Abgeordnete Johannes Kahrs, der sich als Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises gewöhnlich an Treue zum SPD-Vorsitzenden von niemandem übertreffen lässt, ging nach Angaben von Teilnehmern in der Fraktionssitzung auf Distanz. Er schätze Schulz sehr, doch es sei ein Fehler gewesen, die Forderung nach Neuwahlen so sehr in den Vordergrund zu stellen. In der Parteizeitung „Vorwärts“ machte Kahrs seine Kritik auch öffentlich. „Ich bevorzuge, dass wir uns nun erst mal Zeit nehmen, niemand treibt uns“, sagte er. „Deshalb sollten wir uns nicht vorab auf eine Option festlegen, sondern Vor- und Nachteile in Ruhe abwägen.“

Angst vor einem noch schlechteren Ergebnis

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann wurde mit der Einschätzung zitiert, die SPD habe mit der Verweigerung einer Regierungsbeteiligung, der Duldung einer von Merkel geführten Minderheitsregierung und Neuwahlen drei Optionen – und alle drei seien schlecht. Der frühere Fraktionschef hatte kurz nach der Bundestagswahl heftigen Widerspruch aus der Parteiführung provoziert, als er in einer Talkshow erklärt hatte, falls Angela Merkel auf ihr Amt verzichte, müsse die SPD ihre Absage an eine Neuauflage der großen Koalition überdenken.

Der Widerstand gegen Schulz in der Fraktion hat auch mit der Befürchtung zu tun, die Sozialdemokraten könnten bei Neuwahlen ihr historisch schlechtestes Ergebnis vom 24. September (20,5 Prozent) noch unterbieten. Dann würden weitere Abgeordnete ihr Mandat verlieren. Einzelne Parlamentarier warnten denn auch vor den Schwierigkeiten eines neuen Wahlkampfes. Die Parteibasis lasse sich kaum motivieren, schon wieder Plakate zu kleben und Klinken zu putzen. Außerdem sei kaum noch Geld in den Kassen.

Neuwahlen mit einer demotivierten Basis, leeren Kassen und einem Kanzlerkandidaten Martin Schulz? Als die Abgeordnete Kramme in der Fraktionssitzung die K-Frage aufwirft, warten alle auf eine Antwort des Parteivorsitzenden. Der aber will sich nicht festlegen, ob er noch einmal als Spitzenkandidat antritt. Seine Antwort nach Angaben von Teilnehmern: Er werde zu gegebener Zeit von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch machen. Schulz– Kritiker empfinden das als Drohung.

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