Die SPD nach dem Scheitern von Jamaika: Unter Druck
Die SPD hatte geplant, sich in der Opposition in Ruhe zu erneuern. Daraus wird womöglich nichts. Denn es steht schon wieder die K-Frage im Raum.
Dreißig Minuten mehr oder weniger, das kann in der Politik ein großer Unterschied sein. Deshalb tritt SPD-Chef Martin Schulz am Montag im Atrium des Willy-Brandt-Hauses eine halbe Stunde früher als geplant vor die Kameras. Er muss schneller sein als Frank-Walter Steinmeier. Der Bundespräsidenten will sich an diesem Tag um 14.30 Uhr zum Scheitern von Jamaika äußern. Das Staatsoberhaupt wird die SPD gleich ermahnen, doch noch eine Regierung mit der Union zu bilden.
Der SPD-Chef will seine Botschaft vorher in die Welt setzen: Für die Fortsetzung der großen Koalition steht die Partei nicht zur Verfügung, es müsse Neuwahlen geben. Schulz will den Eindruck erwecken, er halte die Zügel straff in der Hand, sei Herr des Verfahrens. Das Statement des angeschlagenen Parteichefs ist nur wenige Sätze lang und recht eingängig. Doch die Lage der SPD, die am 24. September mit 20,5 Prozent von den Wählern gedemütigt wurde, ist auch nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen alles andere als einfach.
Es fängt damit an, dass Schulz von der Entwicklung kalt erwischt wurde. Bis zuletzt war er überzeugt, dass die Koalition aus Union, FDP und Grünen kommen werde. Statt von „Jamaika-Koalition“ sprach der SPD-Politiker stets abschätzig von einer "Schwarzen Ampel" oder "Schwampel". Mit ihrer „Machtkartellpolitik“ würden die Verhandler "am Ende auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners auch zu einem Ergebnis kommen", sagte er immer wieder voraus.
Nun müssen sich die Sozialdemokraten auf eine neue Lage einstellen – viel schneller, als ihnen das lieb ist. Wenn sie wollten, könnten sie sofort wieder im Spiel sein – und in Koalitionsverhandlungen einer geschwächten Kanzlerin womöglich weitgehende Zugeständnisse abringen. "Frau Merkel hat mich bis heute nicht kontaktiert", sagt Schulz, doch er weiß: Ein Angebot wird kommen.
Er kann es nicht annehmen, selbst wenn er wollte. Die SPD hat sich schon am Abend der Bundestagswahl auf die Oppositionsrolle festgelegt. So groß war die Erleichterung über das Ende der ungeliebten Partnerschaft mit Angela Merkel, dass Schulz im Willy-Brandt-Haus frenetisch bejubelt wurde, als er eine erneute Regierungsbeteiligung kategorisch ausschloss. Seither haben viele führende Genossen die Absage an Schwarz-Rot ein ums andere Mal wiederholt. Davon kommt die SPD nicht mehr herunter. Und so bekräftigt der Parteivorstand am Montag das Nein einstimmig.
Ganz wohl ist der SPD dabei aber nicht. Der öffentliche Druck, sich der Verantwortung nicht zu verweigern, wird wachsen. Darauf weisen im Vorstand viele Teilnehmer hin. Man dürfe sich keine Illusionen machen, dass es nun einfach werde für die SPD, sagt etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Und fügt hinzu, die SPD dürfe ein Regierungsbündnis der beiden Volksparteien nicht verteufeln. "Wer jetzt die große Koalition ausschließt, könnte ihr schnell wieder begegnen. Irgendwann braucht das Land wieder eine stabile Regierung", sagte er mit Blick auf die Lage nach möglichen Neuwahlen. Andere warnen, hämische Kommentare zum Scheitern von Jamaika würden dem Ernst der Lage nicht gerecht.
Zudem muss die SPD Neuwahlen mehr fürchten, als Schulz glauben machen will. Er kandidiert auf dem Parteitag Anfang Dezember erneut für den Parteivorsitz. Doch ein Teil der Parteispitze traut ihm Führung nicht zu. Schulz stellt im Kampf um die Existenz der SPD bislang nur Fragen, gibt keine Antworten, wie etwa die Parteivize Olaf Scholz und Thorsten Schäfer-Gümbel monieren.
Nach dem Ende von Jamaika stellt sich die Machtfrage in der SPD noch drängender. Denn nun geht es nicht mehr nur um den Parteivorsitz, sondern darum, wer für die Sozialdemokraten als Kanzlerkandidat antreten soll, wenn tatsächlich neu gewählt wird. Dass Schulz der Richtige wäre, bezweifeln selbst frühere Unterstützer. Ob er selbst Kandidat werden wolle, wird er am Montag bei seinem Auftritt gefragt. Der Parteichef lässt die Antwort offen, sagt nur, er werde "zu gegebener Zeit" von dem Vorschlagsrecht Gebrauch machen, das dem Vorsitzenden zustehe. Längst hoffen manche in der Partei darauf, dass Parteivize Olaf Scholz Anspruch auf die Kandidatur anmelden wird. Oder dass der Parteichef den Hamburger von sich aus vorschlagen wird.
Die Sozialdemokraten wissen zudem: Sie würden nicht in Bestform in Neuwahlen gehen. Nach dem Desaster hatte Schulz unter allgemeinem Beifall einen langen Prozess der Reform versprochen, eine "fundamentale und tiefgreifende Erneuerung" der Partei sei unabdingbar, der Neustart müsse "umfassend sein – organisatorisch, strukturell, strategisch".
Nun aber muss die SPD-Führungsriege den Wahlkampf mit genau jener Partei bestreiten, die nach all ihren Erklärungen im Moment nicht auf der Höhe der Zeit ist.