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Der griechische Premier Alexis Tsipras, der italienische Regierungschef Matteo Renzi und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Gipfeltreffen in Brüssel
© AFP

Griechenland und die EU: Alexis Tsipras ist bloß der Sündenbock

Es ist leicht, in der Krise um Griechenlands Finanzen alle Schuld Regierungschef Alexis Tsipras zu geben. Merkel und Co. aber betreiben schon seit fünf Jahren Politik in Griechenland. Gescheitert ist vor allem deren Strategie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Natürlich kann man vieles falsch finden an Alexis Tsipras. Er hat die „Institutionen“ mehrfach verprellt, über deren Rückbenennung zu „Troika“ nun EZB-Chef Mario Draghi so frohlockt. Er hat die Atmosphäre mit klassenkämpferischen Sprüchen für das Publikum daheim aufgeheizt. Ihn zu dämonisieren, ist trotzdem nicht richtig. Genau das aber wird im politischen Berlin nun gemacht. SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Beispiel sagte am Samstagmorgen, man wäre klug beraten, Tsipras’ Referendumsidee „nicht gleich abzutun“. Klug beraten wurde er dann offensichtlich von Finanzminister und Kanzlerin. Gabriels Parteikollege Frank-Walter Steinmeier (SPD) nämlich sprach wenige Stunden später davon, die Regierung Tsipras nehme ihre Bevölkerung mit der Referendumsidee „in Geiselhaft“.

Tsipras fehlt der Mut - Merkel aber auch

Starker Tobak dafür, dass eine demokratisch gewählte Regierung in einer wichtigen Grundsatzfrage ihre Bevölkerung befragen will. Gabriel stört sich daran, dass Tsipras für ein Nein werben will, was den Sparvorschlag der „Troika“ betrifft  – als hätte zum Beispiel der Berliner Senat bei der Tempelhof-Abstimmung nicht auch Position bezogen. Was man Tsipras wirklich vorwerfen kann, ist dass er dies nicht früher tat. Und dass er nicht die richtige Frage stellt: Nämlich die nach dem Verbleib in der europäischen Währungsunion. Nur mit dem Ausscheiden aus dem Euro, der für Griechenland immer noch zu stark ist, ließe sich die Wirtschaftspolitik dort grundlegend ändern.

Dafür fehlt Tsipras der Mut. Mut fehlt aber offensichtlich auch allen anderen Beteiligten an dem nun schon fünf Jahre währenden Rettungsdrama, zu ihrer Verantwortung zu stehen. Stattdessen wird Tsipras als Bekloppter dargestellt, als Halbkommunist, der sein Land absichtlich in den Ruin treiben will.

So einfach aber ist es nicht. Die Forderung nach einer weiteren Schuldenerleichterung zum Beispiel wird nicht nur von der Syriza-Regierung geteilt. Selbst IWF-Chefin Christine Lagarde vertritt diese Position, wenn auch nicht ganz ohne Eigennutz. Sie will die Europäer stärker belasten. Seit  Jahren ist klar, dass Griechenland einen Großteil seiner Schulden nie wird zurückzahlen können. Kanzlerin Angela Merkel aber soll Tsipras noch bis zuletzt gesagt haben, dass ein Schuldenschnitt für sie die rote Linie ist. Warum nur? Weil sie dann ein paar Probleme mit ihren Unionsabgeordneten zuhause bekommt? Es wäre nur um die Anerkennung des Faktischen gegangen. Mutig ist das nicht.

Für die griechische Misere wird nun allein Tsipras verantwortlich gemacht, der seit Januar regiert. Die „Troika“ aber ist seit fünf Jahren in Griechenland zugange. Vor allem sind Merkel und Co für die milliardenschwere Schuldenverlagerung von privaten Banken und Anlegern hin zu den europäischen Steuerzahlern verantwortlich. Vergessen wird allzu schnell, dass drei Viertel der europäischen Gelder in die Bankenrettung geflossen sind. Aber natürlich lässt sich mit dem Bild der überversorgten griechischen Rentner viel besser polemisieren – auch wenn in Griechenland sicherlich vieles im Argen liegt.

Die Euro-Zone wirkt wie eine Bananenrepublik

Nur: Darüber haben wir nicht zu richten. Die „Troika“ hat in den vergangenen Jahren tief in die griechische Politik eingegriffen. Um was aber ging es zuletzt bei den Verhandlungen? Zum Beispiel darum, ob man die Mehrwertsteuer etwas geringer anhebt und dafür größere Unternehmen stärker besteuert. Der IWF war gegen höhere Unternehmenssteuern. Die Gläubiger und die griechische Regierung können vereinbaren, wie groß der Haushaltsüberschuss sein soll. Legitim aber ist es, wenn eine demokratisch gewählte Regierung selbst entscheiden will, wie sie dazu kommt: Durch Kürzungen oder durch höhere Einnahmen.

Dass es soweit kommen konnte - dass Menschen in Griechenland nicht mehr an ihr Geld kommen, dass die Euro-Zone gerade so wirkt wie eine Bananenrepublik - daran haben Merkel und Co einen nicht geringen Anteil. Die fünfjährige Griechenland-Rettung hat nicht nur die Demokratie in Griechenland beschädigt, sie lässt die EU als Ganzes in einem schlechten Licht erscheinen. Aber dafür gibt es mit Tsipras ja einen Sündenbock.

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