Griechenland: Alexis Tsipras greift nach der Macht
Die Griechen wählen am Sonntag ein neues Parlament. Das Linksbündnis Syriza mit seinem Chef Alexis Tsipras gilt als Favorit. Der noch amtierende Ministerpräsident Samaras malt schon mal Horrorszenarien an die Wand.
Antonis Samaras macht den Griechen Angst: Ein Sieg des radikal-linken Bündnisses Syriza bei der Parlamentswahl am Sonntag? Dann gerät der Euro in Gefahr, warnt der konservative griechische Premierminister. Die Bankautomaten geben dann womöglich kein Geld mehr, dem Land droht der Absturz in eine neue, noch schwerere Krise – Staatsbankrott. Alle Opfer der vergangenen Jahre wären umsonst gewesen.
Samaras kämpft am Sonntag nicht nur für seine konservative Nea Dimokratia (ND). Es geht auch um seine persönliche Zukunft: Eine Wahlniederlage würde wohl das Ende der politischen Karriere des 63-Jährigen bedeuten.
Doch viele Wähler scheinen die Horrorszenarien nicht zu beeindrucken. Seit Monaten liegt Syriza in den Umfragen vorn, in der Woche vor der Wahl hat das Linksbündnis seinen Vorsprung ausbauen können. In einer am Freitag veröffentlichten Erhebung liegt die Linke mit einem Abstand von 6,2 Prozentpunkten vorn – doppelt so viel wie vor einer Woche. „Die Hoffnung kommt“ lautet der Syriza-Wahlkampfslogan. Man sei „nur noch einen halben Schritt vom Sieg entfernt“, frohlockt Parteichef Alexis Tsipras. „Nichts kann uns mehr stoppen“, rief der 40-Jährige am Donnerstagabend auf einer Wahlkampfkundgebung in Athen. „Die Zeit der Linken ist gekommen“, schallte es aus dem Publikum zurück.
Konflikte sind programmiert
Die Wahl wird zu einer Volksabstimmung gegen den Sparkurs, der Griechenland in den vergangenen fünf Jahren ein Viertel seiner Wirtschaftskraft gekostet und eine Million Arbeitsplätze ausradiert hat. Seit Beginn der Krise sind 230 000 Klein- und Mittelstandsbetriebe pleitegegangen. Die Rezession hat die Menschen zermürbt. Die Arbeitslosenquote beträgt 26 Prozent, unter den Jugendlichen sogar 50 Prozent. Tsipras will die Sparpolitik beenden, Renten und Mindestlöhne erhöhen. Damit sind Konflikte mit den internationalen Kreditgebern programmiert.
22 politische Parteien und Parteienbündnisse treten bei der Wahl an. Aber allenfalls acht haben Aussichten, die Dreiprozenthürde zu überspringen und Sitze im 300 Abgeordnete zählenden Parlament zu erobern. Zu ihnen gehört auch die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte. Sie ist ein Produkt der Krise. Mit ihren ausländer- und europafeindlichen Thesen konnte die Partei schon bei den Wahlen 2012 auftrumpfen. Sie erreichte damals fast sieben Prozent der Stimmen. Obwohl fast die gesamte Parteiführung inzwischen in Untersuchungshaft sitzt und auf einen Prozess wartet, bei dem es um Anstiftung zum Mord und Bildung einer kriminellen Vereinigung geht, liegt die Goldene Morgenröte in den Umfragen bei sechs Prozent. Die sozialdemokratische Traditionspartei Pasok, die das politische Leben Griechenlands seit 1981 dominierte und bei der Wahl von 2009 noch mit 44 Prozent triumphierte, erreicht dagegen in jüngsten Umfragen nur noch vier Prozent. Die Krise hat die Fundamente des politischen Systems erschüttert.
Wird Alexis Tsipras die absolute Mehrheit bekommen?
Während sich anfangs das Interesse auf das Duell zwischen Samaras und Tsipras konzentrierte, steht inzwischen Tsipras als Gewinner so gut wie fest. Alles andere als ein Syriza-Sieg wäre eine faustdicke Überraschung. Offen bleibt aber, ob Tsipras eine absolute Mehrheit gewinnt. Das wird nicht nur von dem Stimmenanteil für Syriza abhängen, sondern auch davon, wie viele Splitterparteien den Sprung in die Vouli, die Volksvertretung am Athener Syntagmaplatz, schaffen. Eine Regierungsbildung gegen den voraussichtlichen Sieger Syriza ist kaum möglich, da die stärkste Partei nach dem griechischen Wahlrecht einen Bonus von 50 der 300 Mandate erhält.
Deshalb bekommt das Rennen um Platz drei besondere Bedeutung. Ihn belegt in den meisten Umfragen die erst im März 2014 gegründete Partei „To Potami“, der Fluss. Initiator der dezidiert proeuropäischen Mitte-links-Bewegung ist der bekannte griechische Fernsehjournalist Stavros Theodorakis. Bei der Europawahl 2014 erreichte der Fluss auf Anhieb einen Stimmenanteil von 6,6 Prozent, in der jüngsten Umfrage liegt die Partei bei 6,3 Prozent. Theodorakis gilt als möglicher Koalitionspartner für Syriza, falls Tsipras die absolute Mehrheit verfehlt – und könnte in dieser Rolle mäßigend auf die radikale Linke einwirken. „Unsere Heimat ist Europa, unsere Währung ist der Euro“, sagt Theodorakis. Er scharte Intellektuelle, Akademiker und Journalisten um sich, größtenteils Polit-Neulinge. Das könnte in den Augen vieler Wähler ein Vorteil sein, aber zum Problem werden, wenn es um eine Regierungsbeteiligung geht. Beobachter schließen aber nicht aus, dass es zu einem Patt im neuen Parlament kommt. Gelingt in zehn Tagen keine Regierungsbildung, gäbe es Neuwahlen. Griechenland würde dann noch tiefer in die Krise rutschen.