Kevin Kühnert: „AKK hat sich für die Kanzlerschaft disqualifiziert“
Juso-Chef Kevin Kühnert über die Frage, wann die Groko am Ende ist – und warum Annegret Kramp-Karrenbauer nicht Kanzlerin werden sollte. Ein Interview.
Herr Kühnert, im Dezember entscheidet die SPD, ob sie mit der Union weiterregieren will. Ist die Groko dann Geschichte?
Das wird sich dann zeigen. Im Moment ist ja noch gar nicht klar, wie diese Revisionsklausel – so nennt sich das ja – genau funktioniert. Stimmen die Mitglieder ab? Macht das der Parteitag? Das muss die SPD-Spitze in den nächsten Monaten entscheiden.
Das klingt ganz anders als der Kevin Kühnert, den man noch vor einem Jahr erlebt hat. Der hätte gesagt: Hoffentlich ist die Groko bald am Ende. Sind Sie handzahm geworden?
Ich hoffe nicht. Aber die Entscheidung, die wir vor einem Jahr demokratisch in der Partei getroffen haben, die gilt – auch für uns Jusos. Insofern muss ich das jetzt zumindest noch für ein paar Monate erdulden. Und ich ziehe auch keine Konflikte nur aus Prinzip hoch, sondern da wo es nötig und zielführend ist. Aber wer glaubt, dass wir Jusos uns jetzt unterordnen oder zu einer verkappten Pressestelle der Bundesregierung geworden sind, sollte sich nicht zu früh freuen. Unsere grundsätzliche Haltung ist unverändert.
Wie erfolgreich war denn die SPD im ersten Groko-Jahr?
Die Groko-Performance im ersten halben Jahr war katastrophal und hat alle Vorurteile bestätigt. Da hat Herr Seehofer für chaotische Zustände gesorgt, auch das Debakel um Verfassungsschutzchef Maaßen war schädlich. Aber im zweiten halben Jahr war für die SPD viel Gutes dabei. Krankenkassenbeiträge, die jetzt gleichermaßen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlt werden. Das Gute-Kita-Gesetz...
Klingt ja fast, als wäre die Groko besser als ihr Ruf.
Naja. Die Umfragewerte sprechen ja für sich: Sie sind seit der Bundestagswahl nicht besser geworden. Natürlich gibt es auch Sachen im Koalitionsvertrag, für die es sich lohnt, Politik zu machen. Das haben wir Jusos nie bestritten. Aber wir sehen ja, wie schwierig es wird, wenn die unterschiedlichen Weltbilder von Union und SPD aufeinanderprallen. Stichwort Rentendebatte, Europa, Paragraph 219a.
Ihre wichtigste These war ja, dass sich die SPD in der Regierung nicht erneuern kann. Jetzt liegen aber die SPD-Ideen zu einer Reform des Sozialstaats vor. Müssen Sie Ihre Einschätzung revidieren?
Wir Jusos haben nach der Entscheidung für die Groko gesagt, dass wir versuchen müssen, unsere These zu widerlegen. Ich bin nicht angetreten, um Sand ins Getriebe zu streuen, nur um an Ende Recht zu behalten. Für das Sozialstaatspapier bekommen wir jetzt viele Schulterklopfer, dafür dass wir Hartz-IV hinter uns lassen und Respekt in den Vordergrund stellen wollen. Aber die Frage ist ja: Mit wem soll das umgesetzt werden? Die Union hat erkennbar wenig Lust, mit uns den Sozialstaat zu stärken.
Wonach soll die SPD entscheiden, ob sie in der Groko bleibt?
Wir müssen sowohl zurückschauen, als auch nach vorn: Ist abgearbeitet worden, was wir vereinbart haben? Nicht umsonst haben wir viele Projekte mit konkretem Datum versehen. Für dieses Jahr steht noch die Verabschiedung des Klimagesetzes an sowie eine Entscheidung zur Grundrente. Wichtig ist aber auch die Frage: Was haben wir noch auf der Pfanne für die nächsten zwei Jahre? Gibt es Sachen, die wir noch gemeinsam auf den Weg bringen wollen? Dann braucht es vielleicht ein Update für den Koalitionsvertrag. Wenn wir aber nur noch Streitmasse haben, muss Schluss sein. Sonst sind die Wähler bei der Bundestagswahl 2021 nur noch genervt von uns. Dann weiß auch keiner mehr, dass Franziska Giffey drei Jahre zuvor das Gute-Kita-Gesetz auf den Weg gebracht hat.
Was wäre für Sie der Deal-Breaker? Das Vorhaben, das wenn es scheitert, die Groko sprengt?
Es wäre unseriös, das an einem einzigen Projekt festzumachen. Aber es gibt konkret vereinbarte Vorhaben und dazu gehört zum Beispiel das Klimaschutzgesetz. Seit Wochen gehen zehntausende Jugendliche auf die Straße und zeigen, dass das ein Top-Thema ist in der Gesellschaft und dass von uns mehr Tempo erwartet wird. Die SPD ist gut beraten, darauf zu pochen. Insofern ist das Klimaschutz-Gesetz für mich ein ganz konkreter Prüfstein. Mit Koalitionspartnern kann man verhandeln, mit dem Klima nicht.
Und die Grundrente? Da liegen die Positionen von Union und SPD ebenfalls weit auseinander. Die SPD will keine Bedarfsprüfung, für die Union geht es nicht ohne.
Da sehe ich eigentlich keine Kompromissmöglichkeit, es gibt keine halbe Bedürftigkeitsprüfung. Entweder ich erkenne die persönliche Lebensleistung eines Menschen an oder ich relativiere sie – und nehme in Kauf, dass viele Leute aus Scham den Gang zum Amt nicht antreten können.
Toilettenwitz, Absage an Macron – Annegret Kramp-Karrenbauer macht sich zurzeit vor allem bei den Konservativen in der eigenen Partei beliebt. Finden Sie deshalb, die SPD dürfe einem Kanzlerinnenwechsel innerhalb der Groko nicht zustimmen?
Dass ich inhaltlich oft nicht mit Frau Kramp-Karrenbauer übereinstimme, ist doch klar. Für mich ist aber entscheidend: Zum Zeitpunkt, als die SPD-Mitglieder über den Eintritt in die Groko abstimmten, war selbstverständlich, dass die Kanzlerin Angela Merkel heißt. Ein Wechsel im Kanzleramt wäre jetzt eine Änderung der Geschäftsgrundlage. Frau Kramp-Karrenbauer war damals noch nicht mal Vorsitzende der CDU.
Ist die Kluft zwischen Union und SPD durch den Wechsel an der CDU-Spitze größer geworden?
Dass viele anfangs glaubten, AKK sei eigentliche eine Liberale, war offenkundig ein Trugschluss. Wie sehr sie mit dem dritten Geschlecht fremdelt oder dass sie die Ehe für alle mit Sodomie in Zusammenhang bringt, zeigt uns doch ihr Weltbild. Frau Kramp-Karrenbauer ist der Versuchung erlegen, an der eigenen Parteibasis Stimmung zu machen – auf Kosten von Menschen, die sich kaum wehren können und von denen sie ohnehin keine Zustimmung zur CDU erwartet. Vor 30 Jahren konnte man so vielleicht Politik machen, zeitgemäß ist das aber nicht mehr. Neben allen politischen Differenzen: Auch durch diesen Stil der Spaltung disqualifiziert sich Annegret Kramp-Karrenbauer für die Kanzlerschaft.
Auf die Frage, ob Sie mal SPD-Chef werden wollen, antworten Sie immer: Erstmal daran arbeiten, dass von der SPD in Zukunft überhaupt noch etwas übrig ist. Sind sie nach einem Jahr Groko optimistischer?
In Prozenten geht es der SPD natürlich noch nicht besser als noch vor einem Jahr. Die Stimmung in der Partei ist aber deutlich besser, weil wir Konflikte klären und nicht länger vertagen. In den letzten Wochen haben wir gezeigt, dass wir uns nicht von anderen treiben lassen. Schauen Sie sich an, wie ruhig es um die Linke geworden ist – gerade nachdem wir unser Sozialstaatskonzept vorgestellt haben. Das zeigt, dass wir immer noch die Meinungsführerschaft in diesem Bereich haben. Das müssen wir aber natürlich auch fortlaufend unter Beweis stellen, als nächstes bei den Themen Steuern oder auch Rente. Was wir in den letzten Monaten gemacht haben, muss wieder zum Tagesgeschäft der SPD werden.