Waffenstillstand in Gaza: Ägyptens Staatschef Sisi meldet sich als Vermittler zurück
Ägyptens umstrittener Staatschef Sisi hat viel zur Waffenruhe in Gaza beigetragen. US-Präsident Biden belohnt ihn mit einem Anruf.
Mit der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen meldet sich Ägypten als erfolgreicher Nahost-Vermittler auf der internationalen Bühne zurück. Der wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruptionsvorwürfen umstrittene Staatschef Abdel Fattah el Sisi wurde mit einem Anruf von US-Präsident Joe Biden belohnt – es war das erste Gespräch der beiden Politiker seit Bidens Amtsantritt im Januar. Kairo spielte bei den Bemühungen um ein Ende der Gefechte seine Stärke aus: Ägypten hat enge Beziehungen sowohl zu Israel als auch zur in Gaza herrschenden Hamas.
Die Waffenruhe trat in der Nacht zum Freitag in Kraft und hielt am Nachmittag, auch wenn beide Seiten für den Fall von Angriffen des jeweiligen Gegners mit neuer Gewalt drohten. In den Luft- und Raketenangriffen seit dem 10. Mai kamen 243 Palästinenser und zwölf Israelis ums Leben. Biden kündigte an, die USA würden bei der Lieferung von humanitärer Hilfe nach Gaza mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Akteuren zusammenarbeiten.
Bei der Vermittlung des Waffenstillstands spielten die USA aber nur eine untergeordnete Rolle. Die Vereinten Nationen, die USA und die EU riefen zwar immer wieder zu einem Ende der Kämpfe auf, doch nur Ägypten war in der Lage, mit beiden Konfliktparteien zu reden, weil die Hamas-Bewegung vom Westen als Terrororganisation eingestuft wird.
Ägypten konnte auch 2014 helfen, die Gewalt zu beenden
Ägypten ist zudem das einzige Land der Welt, das gemeinsame Grenzen mit Israel und dem Gaza-Streifen hat. Über den Grenzübergang Rafah, der einzigen offenen Verbindung zwischen Gaza und Ägypten, waren während der Gefechte der vergangenen Woche viele Verwundete in ägyptische Kliniken transportiert worden. Ägypten habe die besten Kontakte, sagte ein israelischer Regierungsvertreter vor wenigen Tagen der Nachrichtenagentur Reuters.
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Sisi kann die internationale Aufwertung gut gebrauchen. Menschenrechtler werfen dem ehemaligen General, der vor acht Jahren den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Morsi stürzte, die Unterdrückung von Kritikern vor und schätzen die Zahl der politischen Häftlinge in Ägypten auf mehrere zehntausend. Die USA setzten wegen der Menschenrechtsverletzungen vorübergehend ihre Militärhilfe für Kairo aus. Sisis Regime erhielt jedoch Milliarden aus Saudi-Arabien und anderen Golf-Staaten, die wie Sisi die islamistische Muslim-Bruderschaft als Terrorgruppe verfolgen. Auf der Sinai-Halbinsel kämpfen ägyptische Truppen seit Jahren gegen Einheiten des Islamischen Staates.
Innenpolitisch steht Sisi nicht nur wegen der Unterdrückung Andersdenkender unter Druck. Ihm werden auch Korruption und Prunksucht vorgeworfen: Westlich von Kairo lässt Sisi eine neue Verwaltungshauptstadt bauen, die Milliarden an Steuergeldern verschlingt. Wichtige Reformen, etwa in der Wirtschaftspolitik, bleiben dagegen liegen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 30 Prozent.
Nach dem Erfolg bei der Vermittlung im neuen Gaza-Konflikt rücken diese Misserfolge erst einmal in den Hintergrund. Schon bei früheren Gefechten zwischen Israel und der Hamas konnte Ägypten helfen, die Gewalt zu beenden, zuletzt im Jahr 2014. Auch diesmal schickte Kairo laut Medienberichten ein Team aus Geheimdienstlern als Unterhändler nach Israel und zur Hamas in Gaza.
Pluspunkte im Dauerstreit mit der Türkei
Bidens Anruf bei Sisi zeigt, dass wichtige internationale Akteure die Rolle Ägyptens würdigen. Damit wächst die regionalpolitische Bedeutung des Landes. Die Friedensschlüsse der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und anderer Länder mit Israel im vergangenen Jahr hatten die traditionelle Ausnahmestellung von Ägypten und Jordanien beendet, die bis dahin die einzigen arabischen Staaten mit diplomatischen Beziehungen zu Israel waren. Jetzt hat Ägypten bewiesen, dass Kairo nach wie vor die beste Adresse für politische Feuerwehreinsätze ist.
Pluspunkte sammelt dadurch Ägypten auch im Dauerstreit mit dem regionalen Rivalen Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Sisi jahrelang als Diktator bezeichnet und Kontakte mit seiner Regierung gemieden. Seit einiger Zeit bemüht sich Erdogan um eine Wiederannäherung, weil die Türkei – und nicht Ägypten – in der Region isoliert ist.
Auch die Türkei hat Beziehungen zu Israel und zur Hamas. Ankara kam aber im neuen Gaza-Konflikt wegen Erdogans scharfer Kritik an Israel als Vermittler nicht in Frage. Der türkische Staatschef sieht sich als Fürsprecher unterdrückter Muslime weltweit, doch nun ist es der ägyptische Staatschef, der den Ruhm einstreicht. Ägyptische Medien meldeten am Freitag, Demonstranten in Gaza hätten Sisi und Ägypten hochleben lassen. Sisi will den Erfolg über den Tag hinaus zementieren. Er kündigte an, seine Regierung werde 500 Millionen Dollar in den Wiederaufbau von Gaza investieren.