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Zurück in Kabul: Am 15. Dezember kamen die abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan wieder n ihrem Herkunftsland an.
© REUTERS

Asylrecht: Abschiebungen nach Afghanistan sind Antiflüchtlingspolitik

Mit Abschiebungen in Kriegsgebiete überstrapaziert Bundesinnenminister de Maizière geltendes Recht - und bedient vor allem den Stammtisch. Ein Gastkommentar

Im Dezember 2015 wollte Bundesinnenminister Thomas de Maizière durch die Abschiebung von 34 Geflüchteten nach Afghanistan ein Exempel statuieren. Die UN-Antifolterkonvention definiert „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, (…) um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen“ als Folter. Und wozu de Maizière afghanische Geflüchtete nötigen will, gab er offenherzig preis: „Wenn man abschiebt, reisen auch mehr freiwillig aus.“

Mit ihrer Ankündigung den Abschiebungen unter Voraussetzungen zuzustimmen, vollziehen die Grünen in den Bundesländern wie schon in der Frage um die Asylrechtsverschärfungen des Asylpakets I, eine Rolle rückwärts. So machen sie es möglich, dass der Bundesinnenminister den Takt für die psychische Folter weiterhin hochhalten kann. 

Um die Abschiebungen möglich zu machen, stellt de Maizière die Rechtsstaatlichkeit empfindlich auf die Probe. Er überstrapaziert geltendes Recht.

Das Aufenthaltsgesetz stellt klar, dass von Abschiebungen abgesehen werden soll, wenn Gefahr für Leib, Leben und Freiheit besteht. Der Versuch des vergangenen Jahres, ein Bild von sicheren Gebieten in Afghanistan zu zeichnen, erlitt jüngst durch den Anschlag auf das deutsche Konsulat mit Toten und über hundert Verletzten empfindliche Risse. Wenn dann das Auswärtige Amt in seiner dringenden Reisewarnung Anschläge mit zahlreichen Toten und Verletzten aufzählt und der EU-Botschafter Franz Michael Mellbin von Krieg in Afghanistan spricht, dann ist das Kartenhaus des sicheren Herkunftsstaats völlig zusammengebrochen. Aber nicht für de Maizière. Welche politische Verantwortung ergibt sich eigentlich für de Maizière, sollte einer der Abgeschobenen bei einem Anschlag getötet werden?

Gelten für Straftäter andere Grundrechte?

Folgt auf die Kritik der Hinweis, dass ein Drittel der Abgeschobenen Straftäter sind, gleicht dies einer weiteren Demontierung unserer Rechtsstaatlichkeit. Heißt es etwa im Aufenthaltsgesetz, die Gefahr für Leib und Leben darf bei Straftätern ignoriert werden? Diese Argumentation erfreut sicher manchen Stammtisch, aber beim Verfassungsschutzminister stellt sich die Frage nach dem Rechtsverständnis. De Maizière gibt sich gerne als solider Verwalter. Als Vertrauensmann, der die Verfassung schützt. Er ist ein Blender und Biedermann. Beispiel: 2010 sprach er plötzlich von 15 Prozent Integrationsverweigerern, im Jahr 2015 von 30 Prozent „falschen Syrern“. Beweise für seine Behauptungen konnte er dabei nie liefern – im Gegenteil: Wissenschaft und Verwaltung widersprachen ihm. Sein Ziel, Stereotype zu befördern und damit Stimmungen zu erzeugen erreichte er aber. Der Biedermann schlägt so die Brücke von der Regierungsbank in die politische Rechte. Und liefert denjenigen, die nicht nur verbal zündeln, die geistige Legitimation! Wer sich also fragt, woher die AfD ihre Stärke nimmt: auch hieraus. Wer sich die Entwicklung im Aufenthalts- und Ausländerrecht anschaut, stellt fest: Gesetzverschärfungen gehen immer solcherlei Falschbehauptungen und politisch zugespitzte Thesen voraus.

Übrigens wurden mit dem Asylpaket I die Integrationskurse auf Asylsuchende mit „guter Bleibeperspektive“ eingeschränkt. Um die Afghanen hiervon auszunehmen, sank die Schutzquote von 2015 auf 2016 um 25 Prozentpunkte. Ohne Integrationsangebote verdonnert der deutsche Staat sie zur Perspektivlosigkeit. Glück haben Geflüchtete, wenn das Bundesland, wie in Berlin, die Lücke bei den Integrationskursen freiwillig schließt. Glück braucht es momentan auch bei den Abschiebungen, da nicht alle Bundesländer de Maizières Muskelspiele mitgehen. Und wenn wir eines gelernt haben, aus der verfehlten „Gastarbeiter“-Politik, ist es doch die Einsicht, dass das Teilnehmen am gesellschaftlichen Leben nicht vom Glück abhängen darf.

- Cansel Kiziltepe sitzt für die Berliner SPD im Bundestag, Aziz Bozkurt ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD

Von Cansel Kiziltepe, Aziz Bozkurt

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