Mehrere Männer nach München gebracht: Abschiebung nach Afghanistan abgesagt – Tote nach Anschlag in Kabul
Aufgrund des Autobombenanschlags hat die Bundesregierung den geplanten Abschiebeflug abgesagt. Dennoch soll an bisherigen Abschiebepraxis festgehalten werden.
Die Taliban haben sich zu einem Anschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul bekannt, der die Bundesregierung zum Stop eines Abschiebeflugs veranlasst hat. Sie kündigten am Mittwoch zudem weitere Anschläge in Kabul an, am Morgen explodierte bereits eine weitere Bombe in der Stadt und verletzte drei Menschen. Die Bundesregierung plant dennoch weitere Abschiebungen nach Afghanistan.
Am Dienstagabend hatte ein Selbstmordattentäter eine Autobombe vor dem Haus von Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi in Kabul gezündet. Aus Sicherheitskreisen hieß es, weitere Angreifer seien danach in ein Nachbarhaus gestürmt und hätten von dort aus auf Mohammadis Haus geschossen.
Der Minister überlebte den Angriff unverletzt, mindestens acht weitere Menschen wurden hingegen getötet. Zum Zeitpunkt des Angriffs fanden im Nachbarhaus Beratungen mehrerer Politiker über eine Gegenoffensive der afghanischen Armee gegen den Vormarsch der radikalislamischen Taliban im Norden des Landes statt.
Der Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid erklärte am Mittwoch, die Attacke auf den Minister sei der Beginn von „Vergeltungsmaßnahmen“ gegen die Regierung, die „Angriffe und die Bombardierung verschiedener Teile dieses Landes befohlen“ hätten. Zuvor hatten die afghanischen und US-Streitkräfte Luftangriffe gegen die Taliban geflogen und eine Offensive in Laschkar Gah, der Hauptstadt der Provinz Helmand, gestartet.
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Nach UN-Angaben wurden dort in den vergangenen Tagen dutzende Zivilisten getötet. Am Dienstag forderte die afghanische Armee die Bewohner der 200.000-Einwohner-Stadt auf, sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen.
Islamisten haben weite Teile des Landes erobert
Hunderte Familien hätten die Stadt verlassen, sagte der Bewohner Saleh Mohammad. Zahlreiche weitere säßen jedoch fest. „Es gibt keinen Weg, aus der Region zu fliehen, weil die Kämpfe anhalten“, sagte er. „Die Regierung und die Taliban zerstören uns.“
Die vollständige Einnahme von Laschkar Gah durch die Taliban wäre ein harter Schlag für die afghanische Regierung. Seit dem Beginn des Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Islamisten weite Teile des Landes erobert, bislang aber keine größeren Städte.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft den Taliban vor, in eroberten Gebieten gefangene Soldaten, Polizisten und Zivilisten mit angeblichen Verbindungen zur Regierung „kurzerhand“ hinzurichten.
Das Innenministerium in Berlin hatte einen für Dienstagabend geplanten Abschiebeflug mit sechs afghanischen Männern abgesagt, nachdem die Nachricht von dem Angriff in der afghanischen Hauptstadt eingetroffen war. Es sei nicht möglich gewesen, die Lage vor dem Abflug hinreichend aufzuklären, um sicherzustellen, dass keine Gefahr für die Abzuschiebenden, die begleitenden Sicherheitskräfte und die Flugzeugbesatzung bestehe, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch. Der Flug solle aber „zeitnah nachgeholt werden“.
Bundesregierung will an Abschiebungen nach Kabul festhalten
Trotz der Verschlechterung der Sicherheitslage will die Bundesregierung grundsätzlich an Abschiebungen nach Kabul festhalten. Keine Rolle bei der Entscheidung den Flug abzusagen, spielte dagegen demnach die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen eine geplante Abschiebung aus Österreich.
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Diese hätte ursprünglich gemeinsam mit den deutschen Abschiebungen erfolgen sollen. Bei dem Gerichtsentscheid gehe es um einen Einzelfall, argumentierte das Bundesinnenministerium. Der Gerichtshof hatte allerdings auch generell in der Begründung seiner Eilentscheidung auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen.
Gleichwohl will neben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auch Außenminister Heiko Maas (SPD) offensichtlich an der bisherigen Abschiebepraxis festhalten. Maas stehe zu den diesbezüglichen Entscheidungen der Bundesregierung, sagte seine Sprecherin Maria Adebahr. Es sei zwar richtig, dass Afghanistan „in einer schwierigen Lage“ sei, diese sei jedoch „regional nach wie vor unterschiedlich“, sagte sie.
Scharfe Kritik von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans
Dagegen hatte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans am Montag Seehofer und CDU-Chef Armin Laschet wegen ihres Neins zu einem Abschiebestopp scharf kritisiert. Walter-Borjans hatte in der „Rheinischen Post“ bezogen auf die CDU-Politiker von einer „menschenfeindlichen Linie von Populisten“, gesprochen. „Auch ausländische Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe, aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken. Sollte das drohen, müssen Abschiebungen gestoppt werden“, verlangte weiter der SPD-Chef.
Auf einen vorläufigen Abschiebestopp drängt wegen der angespannten Sicherheitslage und dem Vormarsch der radikalislamischen Taliban in großen Teilen des Landes auch die afghanische Regierung. Mehrere andere europäische Regierungen sind dem bereits nachgekommen, nicht jedoch Deutschland. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte, die afghanische Seite hätte dem nun abgesagten Abschiebeflug zuvor zugestimmt.
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour warf der SPD „Heuchelei“ vor, weil sie wisse, dass der vorliegende Lagebericht des Auswärtigen Amts zu Afghanistan, der bei Asyl- und Abschiebeentscheidungen zugrundegelegt wird, veraltet sei. Es mache ihn „fassungslos“, dass SPD-Politiker weiterhin für Abschiebungen plädierten, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
„Angesichts der verheerenden Sicherheitslage in Afghanistan ist es zynisch, über Abschiebungen überhaupt nachzudenken“, kritisierte Nouripour die aktuelle Abschiebepraxis der Regierung. Derzeit komme bei Anschlägen in Afghanistan alle zehn Minuten ein Zivilist ums Leben. „Außerdem haben auch Straftäter ein Recht auf körperliche Unversehrtheit“, betonte der Grünen-Politiker. (AFP)
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