Bundeswehr: Abkehr von der Mangelwirtschaft
Ministerin Ursula von der Leyen will in den nächsten 15 Jahren offenbar 130 Milliarden Euro in die Ausrüstung der Bundeswehr investieren. Der Bericht des Wehrbeauftragten macht deutlich, wie groß die Not ist.
Die Bundeswehr steht an einem Wendepunkt. Das war am Dienstag nicht nur die Botschaft des Wehrbeauftragten, Hans-Peter Bartels (SPD), der bei der Vorstellung seines Jahresberichts massive Personal- und Materiallücken bei der Truppe beklagte. Auch die Regierung hat offenbar eingesehen, dass eine professionelle Einsatzarmee ihren Preis hat. Bis 2030 will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) daher 130 Milliarden Euro in die Modernisierung der maroden Ausrüstung der Bundeswehr investieren, wie am Dienstag aus Regierungskreisen verlautete. Die genannte Summe werde allerdings nicht in voller Höhe zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, sondern beinhaltet offenbar auch bereits geplante Investitionen. In jedem Fall läuten die Pläne die Abkehr von der militärischen Mangelwirtschaft ein. Nach einem 2011 beschlossenen Konzept wurden manche Bereiche der Armee, etwa die Panzertruppe, nur noch mit 70 Prozent des benötigten Geräts ausgerüstet. Die Ausrüstung müsse sich an den Aufgaben orientieren, sagte auch der Wehrbeauftragte. „Bundeswehr nach Kassenlage geht nicht.“
Zuletzt war vor dem Einsatz deutscher Tornado-Aufklärungsmaschinen für den Einsatz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien deutlich geworden, wie schlecht es um die Ausstattung der Bundeswehr steht. Vor dem Einsatz musste das Verteidigungsministerium einräumen, dass nicht einmal jeder zweite Tornado der Luftwaffe überhaupt einsatzbereit ist. Auch die Marine muss bei ihrem Anti-Piraten-Einsatz am Horn von Afrika auf wichtiges Gerät verzichten. Zeitweise verfügte sie nicht über einen einzigen Marinehubschrauber. Inzwischen ist die Marine auch im Mittelmeer bei der Flüchtlingsrettung aktiv und schützt den französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulles“ in seinem Einsatz gegen den IS. „Wenn noch ein weiterer Marineeinsatz hinzukäme, hätte die Bundeswehr dafür wohl gar keine Fregatte mehr“, sagte Bartels. Der SPD-Politiker hatte das Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages im vergangenen Mai übernommen.
In seinem ersten Bericht zeigt er auf, wie weit die Mangelverwaltung bei der Bundeswehr inzwischen geht. So könnten Übungs- oder Ausbildungslehrgänge teilweise nicht stattfinden, weil Fahrzeuge, Waffen oder Nachtsichtbrillen an andere Verbände ausgeliehen worden seien. „Die Truppe ist es leid“, sagte er. Die Opposition kritisierte den Fokus des Wehrbeauftragten . Die Linkspartei sprach von einem Aufrüstungsbericht, die Grünen warfen Bartels vor, die Probleme zu überzeichnen. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner, trifft Bartels dagegen den Kern der Misere. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit sei unendlich groß, schrieb Wüstner in einer Erklärung. „Wenn die Politik nach dieser erneuten Alarmmeldung des Wehrbeauftragten nicht handelt und die materiellen wie personellen Lücken schließt, wird ein Vertrauensverlust in der Truppe eintreten“, warnte Wüstner.
Die Sollstärke der Truppe war im Zuge der Bundeswehrreform von 250 000 auf 185 000 Soldaten verringert worden. Tatsächlich verfügt die Bundeswehr derzeit aber nur über 177 000 Männer und Frauen. Nach dem Ende des personalintensiven Kampfeinsatzes in Afghanistan stellte dies zunächst kein größeres Problem dar. Am Hindukusch waren zeitweise mehr als 5000 Soldaten eingesetzt, bis zu 10 000 waren es in Hochzeiten insgesamt. Im vergangenen Jahr hatte sich die Zahl deutlich reduziert. Mit dem Einsatz in Syrien, der Ausweitung des Engagements in Mali und möglichen weiteren Aufträgen im Kampf gegen den IS-Terror steigt die Zahl der Einsatzsoldaten nun aber wieder an. 4000 bis 5000 werden es in diesem Jahr voraussichtlich sein. Hinzu kommen mehrere tausend Soldaten, die Deutschland als Reserve oder schnelle Einsatzkräfte für die Nato vorhalten muss. Rund 6000 Angehörige der Bundeswehr sind zudem in der Flüchtlingshilfe aktiv.
„Insgesamt sind damit mehr als 20 000 Kräfte gebunden“, sagte Bartels. Berücksichtigt man die Tatsache, dass sich für jeden Einsatzsoldaten bereits ein Nachfolger in der Vorbereitung befindet, während der Vorgänger oft noch eine Einsatznachbereitung absolviert, wird klar, warum mit jedem neuen Einsatz das Wort „Belastungsgrenze“ die Runde macht. Bei Spezialisten könnten die vorgesehenen Einsatzpausen von 20 Monaten längst nicht mehr eingehalten werden, sagte Bartels am Dienstag. Er forderte ein Konzept der Bundesregierung zur Überwindung der Personaldefizit.