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Transplantation einer Niere
© dpa/EPA/Balazs Mohai
Update

Debatte um Organspende: Abgeordnete um Spahn stellen ausgearbeiteten Gesetzesentwurf vor

Um mehr Menschen helfen zu können, soll die Zahl der Organspenden gesteigert werden – doch wie? Im Parlament zeichnet sich ein grundlegender Konflikt dazu ab.

In der Debatte um neue Regeln für Organspenden werden zwei gegensätzliche Vorschläge aus dem Bundestag konkreter. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die von ihm vorgeschlagene Widerspruchsregelung zur Organspende mit einer breit angelegten Informationskampagne verbinden. Jeder solle dafür dreimal angeschrieben werden, sagte Spahn bei der Vorstellung des von ihm und weiteren Abgeordneten erarbeiteten Gesetzentwurf am Montag in Berlin.

Die bisherige Entscheidungslösung, nach der sich potenzielle Organspender aktiv dafür entscheiden müssen, habe nicht ausreichend gefruchtet, begründete er den Entwurf. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte: „Es sterben jedes Jahr um 2000 Menschen auf der Warteliste.“ Die Widerspruchsregelung sei unbürokratisch, ethisch unbedenklich, effizient und sicher.

Der von der Gruppe vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, dass sich grundsätzlich jeder ab 16 Jahren entscheiden soll, ob er zur Organspende im Fall des eigenen Hirntods bereit ist. Die Entscheidung soll jederzeit revidiert werden können. Widerspricht man nicht oder trifft keine Entscheidung, soll man als Spender registriert werden. Vor einer Organentnahme soll der Arzt zusätzlich den nächsten Angehörigen fragen müssen, ob diesem ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Entnahme entgegenstehender Wille bekannt ist.

Wenn Minderjährige als Spender infrage kommen, soll eine Entnahme nur zulässig sein, wenn ein Angehöriger, also wohl meist die Eltern, zugestimmt hat. Bei Menschen, die die Tragweite einer solchen Entscheidung nicht erkennen können – etwa wegen einer geistigen Behinderung – sollen Organspenden grundsätzlich unzulässig sein.

„Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen“, sagte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. Die Linke-Abgeordnete Petra Sitte sprach von einem „solidarischen Akt“ gegenüber den Mitmenschen. Vollzogen werde dieser erst in der Sterbephase - „während des Ablebens“. In 20 von 28 EU-Staaten gelte bereits eine Widerspruchslösung, betonte Spahn.

Der Bundestag soll ohne Fraktionszwang über eine Reform entscheiden. Bereits seit dem Wochenende stößt der Vorschlag auf breite Kritik. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, nannte die sogenannte „Widerspruchslösung“ im Deutschlandfunk „unnötig und schädlich“.

Baerbock und Co. werben für Online-Register

FDP-Chef Christian Lindner sagte dem Nachrichtensender n-tv: "Schweigen als eine Zustimmung zu werten, halte ich für nicht vereinbar mit dem Bild des selbstbestimmten Individuums." Dies gelte gerade in solchen besonders wichtigen Fragen. Die Linken-Politikerin Vogler verwies darauf, dass die Rechtswissenschaft "überwiegend einig" darin sei, dass die Widerspruchsregelung grundgesetzwidrig ist".

Auch die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther wandte sich gegen die Widerspruchslösung. Bei einer so persönlichen Frage müsse es eine freiwillige Entscheidung geben, sagte sie dem ARD-"Morgenmagazin".

Zurückhaltend reagierte die Bundesärztekammer. Die Widerspruchslösung sei ein "hochsensibles Thema", das ethische, religiöse und verfassungsrechtliche Fragen berühre, hieß es in einer Erklärung. "Notwendig ist eine besonnene Diskussion mit Respekt für die Ängste und Argumente der Gegenseite."

Eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten um Grünen-Chefin Annalena Baerbock warb am Sonntag für verbindliche regelmäßige Befragungen der Bürger und ein bundesweites Online-Register. Die Gruppe um Baerbock betonte in einer Stellungnahme: „Wir wollen die Organspende nach dem Tod als eine bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten und stärken, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein zentrales Element menschlicher Würde.“ Die Widerspruchslösung wecke aber Ängste und senke das Vertrauen in die Organspende. Statt „Stillschweigen als eine Freigabe der eigenen Organe zu bewerten“, sei es zielführender, eine stets widerrufbare Entscheidung zu registrieren, verbindliche Information und bessere Aufklärung zu gewährleisten und die Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern.

Konkret schlagen die zehn Parlamentarier in dem Papier vor, dass die Bürger Erklärungen zur Organspende beim Ausweisabholen - also spätestens alle zehn Jahre - in das Register eintragen können. Dafür sollen Ausweisstellen verpflichtet werden, Bürger beim Beantragen von Papieren Informationsmaterial zu geben und beim Abholen zum Eintragen ins Register aufzufordern. Dies soll auch vor Ort möglich sein, sofort oder später. Die Erklärung soll zudem jederzeit online zu ändern sein. Die Ämter sollen nicht selbst beraten, aber auf Beratungsmöglichkeiten bei Hausärzten hinweisen. Eine solche Regelung wird ebenfalls für Ausländerbehörden vorgeschlagen.

Fast 10.000 Patienten warten auf Organ

In der Erklärung angeben könnte man wie bisher bei Spendeausweisen Zustimmung, Ablehnung, Ausschluss oder Auswahl bestimmter Organe und eine Übertragung der Entscheidung auf eine andere Person. Wer sich nicht entscheidet, soll auch nicht registriert werden. „Die Freiheit zu einer Entscheidung über diese zutiefst persönliche Frage muss ohne Zwang erhalten bleiben“, heißt es in dem Papier. Unterzeichnet haben es neben Baerbock auch Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) sowie Heribert Hirte und Karin Maag (beide CDU), Stephan Pilsinger (CSU), Hilde Mattheis und Ulla Schmidt (SPD), Christine Aschenberg-Dugnus und Otto Fricke (FDP) sowie Kathrin Vogler (Linke). Daneben unterstützt unter anderem auch Linke-Chefin Katja Kipping die Initiative.

Gemeinsames Ziel der beiden widerstrebenden Initiativen im Bundestag ist, angesichts von fast 10.000 Patienten auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen. Nach langem Abwärtstrend stieg deren Zahl zuletzt erstmals wieder deutlich. Im vergangenen Jahr überließen 955 Menschen nach ihrem Tod Organe für andere schwerkranke Patienten. Das war ein Plus von 20 Prozent im Vergleich zu 2017. Unabhängig von dieser Debatte gelten von Montag an neue gesetzliche Regeln, um die Bedingungen für Organspenden in Kliniken zu verbessern - mit höheren Vergütungen und mehr Freiraum für Transplantationsbeauftragte. (dpa, AFP, KNA, epd)

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