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In den meisten Schnelltest-Zentren werden Nasenabstriche genommen.
© Julian Stratenschulte/dpa-tmn

Delta-Variante des Coronavirus: 30 Fälle, die Experten unruhig machen

Die Coronazahlen in Deutschland sinken rapide. Doch die Delta-Variante alarmiert Intensivmediziner. Zudem gibt eine Studie zu denken.

Im Kampf gegen das Coronavirus steht Deutschland dieser Tage so gut da wie lange nicht: Bundesweit ist die Inzidenz nun auf 26,3 gesunken. Die Neuinfektionen sind im Vergleich zur Vorwoche um fast 58 Prozent regelrecht in den Keller gerauscht, aktuell meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) noch etwa 78.000 aktive Fälle. Und: Als erstes Bundesland kann Mecklenburg-Vorpommern eine Inzidenz von unter 10 vermelden.

Trotzdem warnen die Intensivmediziner vor einer vierten Welle. Wegen der Delta-Variante. Diese Variante, die zuerst in Indien festgestellt wurde, dominiert bereits laut Public Health England (PHE) das Virusgeschehen in Großbritannien. Auch die Weltgesundheitsbehörde WHO hat B.1.617.2 unter eine besondere Beobachtung gestellt, weil sie eine „signifikant erhöhte Übertragungsrate“ und ein „höheres Risiko für die Allgemeinheit“ sieht.

Die Deutschen Intensivmediziner rechnen damit, dass sich die Delta-Variante auch hierzulande „schrittweise“ durchsetzen wird. „Der große Unsicherheitsfaktor ist gerade die neue Mutation B.1.617.2, die noch ansteckender als die derzeit dominierende Variante B.1.1.7 sein soll“, sagt der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, der „Rheinischen Post“.

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Die Intensivstationen wären seiner Ansicht nach zwar vorbereitet. Aber wenn die Menschen unvorsichtig würden, könnten die Infektionszahlen wieder hochschnellen. „Dann ist eine vierte Welle möglich“, warnt Marx.

Wesentlich gelassener klingt dagegen das RKI in seinem wöchentlichen Bericht zu Virusvarianten. Laut den Unterlagen vom 2. Juni ist der Vormarsch der neuen Variante nämlich vorerst gestoppt. „Deutlich zu sehen ist dabei die Zunahme des Anteils von B.1.617.2 in den letzten Wochen, wobei dieser Trend sich in KW20/2021 nach aktuell vorliegenden Zahlen nicht fortgesetzt hat“, schreibt das RKI.

Der Anteil der Delta-Variante liegt demnach aktuell bei 2,1 Prozent. In absoluten Zahlen sind das gerade einmal 30 Fälle in ganz Deutschland.

So haben sich Zahlen der Delta-Variante in Deutschland entwickelt:

  • Kalenderwoche 15: 5 Fälle, die 0,1 Prozent entsprechen
  • Kalenderwoche 15: 5 Fälle, die 0,1 Prozent entsprechen
  • Kalenderwoche 16: 30 Fälle, die 0,5 Prozent entsprechen
  • Kalenderwoche 17: 55 Fälle, die 1,5 Prozent entsprechen
  • Kalenderwoche 18: 86 Fälle, die 1,8 Prozent entsprechen
  • Kalenderwoche 19: 78 Fälle, die 2,4 Prozent entsprechen
  • Kalenderwoche 20: 30 Fälle, die 2,1 Prozent entsprechen

Diese Zahlen sind auch für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach eine gute Nachricht. „Wenn wir Superspreading verhindern, sind wir bei dieser Variante auf der sicheren Seite“, sagt er. Der Epidemiologe rät daher, Innenräume von Restaurants, Hotels und Veranstaltungen nur für Geimpfte, Getestete oder Genesene zugänglich zu machen – so wie es derzeit ja auch der Fall ist.

Allerdings sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Corona-Mutante auch Deutschland erreiche. Sie werde die britische Variante verdrängen, das ließe sich kaum verhindern. Auf Twitter schrieb Lauterbach: „Wir impfen jetzt gegen die Zeit.“

Dennoch verbreitet Lauterbach mit Blick auf die Zeit nach dem Sommer alles andere als Panik. „Im Herbst kann es eine kleinere vierte Welle geben, aber wir werden keinen Lockdown mehr brauchen“, sagt er der „Rheinischen Post“.

Der vorsichtige Optimismus dürfte auch darin begründet sein, dass die Impfungen – nach bisherigem Kenntnisstand – weiter wirksam sind. Doch zunehmend drängt sich die Frage auf: Wie wirksam? Das RKI schreibt in seinem Virusvarianten-Bericht, dass derzeitige Impfungen etwas besser vor einer Infektion mit B.1.1.7 als einer mit B.1.617.2 schützen. „Vorläufige Ergebnisse“ aus England würden zudem darauf hindeuten, dass die Delta-Variante leichter übertragbar sein könnte.

Die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation blickt etwas besorgter auf Delta als Lauterbach und RKI. Sie sieht eine Gratwanderung zwischen dem Impffortschritt und der Ausbreitung der Variante. Angesichts des aktuell berichteten Anteils von zwei Prozent werde es bis zu fünf Wochen oder vielleicht auch länger dauern, bis die Variante auch in Deutschland anfange, die Fallzahlen wieder hoch zu bringen. Bis dahin gebe es noch nicht genug Impfschutz, um eine Belastung der Intensivstationen auszuschließen.

Aufsehen erregt nun eine neue Studie des Francis Crick Institute und des National Institute for Health Research UCLH Biomedical Research Centre an 250 Erwachsenen, die im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Demnach entwickelten mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech Geimpfte wesentlich weniger neutralisierende Antikörper gegen die Delta-Variante als gegen die zuvor in Großbritannien zirkulierenden Varianten.

Geringere Antikörperproduktion bei Älteren

Vor allem nach der ersten Impfung zeigten sich laut der Studie deutliche Unterschiede: Dann wurden nur bei 32 Prozent der Probanden neutralisierte Antikörper gefunden, beim Wildtyp waren es 79 Prozent. Über alle Varianten hinweg sinke zudem die Antikörperproduktion mit erhöhtem Alter. Der Biontech-Impfstoff könnte also gegen Delta womöglich weniger ausrichten als gegen andere Corona-Varianten.

Diese Deutung würde sich mit einer früheren Einschätzung des Charite-Virologen Christian Drosten decken. Er hatte mit Blick auf die Variante B.1.617 darauf hingewiesen, dass offenbar „gerade die erste Impfung gegen dieses Virus noch nicht so viel hilft, so dass man jetzt schnell vervollständigen muss“.

Deshalb sei es so wichtig, dass Menschen auch die zweite Dosis erhalten. Aber auch Drosten mahnte wegen der Daten zur Delta-Variante: Es gebe einfach derzeit noch sehr viele Unwägbarkeiten.

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