zum Hauptinhalt
Ausländische Pflegekräfte sollen auch einen Anspruch auf Mindestlohn in Deutschland haben.
© Bodo Schackow/dpa
Update

Mindestlohn auch für ausländische Pflegekräfte: „24-Stunden-Pflege wird für die allermeisten damit unbezahlbar“

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur 24-Stunden-Pflege polarisiert. Patientenschützer erwarten eine Kostenexplosion. Auch die Schwarzarbeit dürfte zunehmen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wertet das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Anspruch auf Mindestlohn für ausländische Pflegekräft als „einen Tsunami für alle, die daheim auf die Unterstützung ausländischer Pflegekräfte angewiesen sind“.

Es werde zu einer Kostenexplosion führen, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Sozialverband VdK erklärte, jetzt drohe der häuslichen Pflege „das Armageddon“. „Rund-um-die-Uhr Pflege ist nur noch mit Mindestlohn legal. Für die allermeisten wird sie damit unbezahlbar“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Experten gehen davon aus, dass in Deutschland zwischen 300.000 bis 600.000 ausländische Arbeitskräfte in der Versorgung älterer Menschen im häuslichen Bereich tätig sind. Es handelt sich häufig um Frauen aus ost- und mitteleuropäischen EU-Mitgliedsstaaten.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in einem am Donnerstag verkündeten Grundsatzurteil entschieden, dass der Mindestlohnanspruch auch für Bereitschaftsarbeit und auch für Pflegekräfte, die 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche Menschen in ihren Privatwohnungen pflegen, besteht. Es wird befürchtet, dass das Urteil nun zu noch mehr Schwarzarbeit führt.

Den konkreten Fall einer bulgarischen Pflege- und Haushaltskraft, die nach ihren Angaben monatelang rund um die Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hatte, verwiesen die obersten Arbeitsrichter an das Landesarbeitsgericht in Berlin zurück.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das Gericht muss noch einmal prüfen, ob die Klägerin tatsächlich rund um die Uhr im Dienst war und ihr ein Nachschlag auf der Basis des in Deutschland geltenden gesetzlichen Mindestlohns zusteht. Die bei einer bulgarischen Firma angestellte und über eine deutsche Agentur vermittelte Pflegekraft hatte eine Nachzahlung in Höhe von 42.636 Euro abzüglich bereits gezahlter 6680 Euro verlangt.

Das Urteil stieß auch ansonsten auf unterschiedliche Reaktionen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnet das Urteil als „wegweisend und richtig“ bezeichnet. „Arbeit hat eine Würde. Egal ob Sie aus Bukarest oder aus Bottrop kommen: Wenn Sie arbeiten, dann haben sie einen anständigen Lohn verdient“, sagte Heil am Freitag in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv.

Gesundheitsminister Jens Spahn (l.), sieht die 24-Stunden-Pflege nicht als „Megathema der Politik“, Arbeitsminister Hubertus Heil schon eher.
Gesundheitsminister Jens Spahn (l.), sieht die 24-Stunden-Pflege nicht als „Megathema der Politik“, Arbeitsminister Hubertus Heil schon eher.
© Kay Nietfeld/dpa

Der evangelische Sozialverband Diakonie lobte „einen Meilenstein auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingungen“. „Es darf bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Deutschland und dem Ausland nicht mit zweierlei Maß gemessen werden“, erklärte Vorständin Maria Loheide.

Für ausländische Pflegekräfte müssten dieselben Regeln gelten. Dazu gehören der Mindestlohn und die Begrenzung der Arbeitszeit. Caritas-Präsident Peter Neher erklärte, das Urteil zeige, wie dringlich die Förderung legaler Beschäftigungsverhältnisse sei. Die kommende Bundesregierung müsse sich dringend mit einer Reform der häuslichen Pflege befassen.

Auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sieht großen Handlungsbedarf bei der 24-Stunden-Pflege. Die 24-Stunden-Betreuung müsse zu einem „Megathema der Politik“ werden, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Andreas Westerfellhaus (r.), der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, neben Gesundheitsminister Jens Spahn
Andreas Westerfellhaus (r.), der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, neben Gesundheitsminister Jens Spahn
© Imago/Reiner Zensen

Westerfellhaus sagte, es sei gut, dass es für die Bezahlung von Betreuungskräften nun mehr Klarheit gebe. „Viel zu wenig ist bisher in der Öffentlichkeit bekannt, dass die meisten dieser Pflegesettings mit großen rechtlichen Risiken - unter Umständen bis hin zur Strafbarkeit - behaftet sind“, sagte der Pflegebeauftragte den Funke-Zeitungen. Der Handlungsbedarf sei komplex, aber offensichtlich.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht hingegen, anders als Westerfellhaus, keine Notwendigkeit, die prekären Zustände in der 24-Stunden-Pflege anzugehen. Das geht aus einer Antwort seines Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegt.

Heil fordert konsequenten Weg zur „Pflege-Bürgerversicherung“

Auf die Frage, ob die Regierung die im Mai von Westerfellhaus erhobene Forderung aufgreifen wolle, wonach die 24-Stunden-Betreuung zum „Megathema der Politik“ werden müsse, schrieb das Ministerium, der Pflegebevollmächtigte habe „seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Pflege“ dargelegt.

Laut Ministerium gibt es auch keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern. „Bedarf für Änderungen mit Blick auf das von Deutschland ratifizierte Übereinkommen Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte der internationalen Arbeitsorganisation sieht die Bundesregierung nicht“, heißt es in der Antwort.

Mit Blick auf zu erwartende höhere Kosten für die Angehörigen von Pflegebedürftigen forderte Heil eine Verbesserung der Pflegeversicherung. Es müsste nun konsequent der Weg einer „Pflege-Bürgerversicherung“ gegangen werden, um „auch im Haushalt lebende pflegedürftige Personen besser absichern und unterstützen zu können“, so der Minister.

Die Linken-Pflegeexpertin Pia Zimmermann sagte dem RND: „Dass der eigene Pflegebevollmächtigte öffentlich abgewatscht wird, ist das eine. Viel schlimmer ist, dass darin die perfide Pflege-Strategie der CDU zu Ausdruck kommt: Die Pflege völlig unzureichend finanzieren, aber im Ausland abwerben, um die Reichen zu schonen“, so die Linken-Politikerin. (epd, KNA, Tsp)

Zur Startseite