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"Ungeimpft" steht auf einem nachgebildeten Judenstern am Arm eines Mannes.
© Boris Roessler/dpa
Exklusiv

Volksverhetzungen, Beleidigungen, Bedrohungen: 225 antisemitische Straftaten im Kontext der Corona-Pandemie

Immer wieder fallen Gegner der Corona-Maßnahmen durch antisemitische Hetze auf. Die Bundesregierung veröffentlicht nun erstmals Zahlen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 sind in Deutschland hunderte antisemitische Straftaten festgestellt worden, die von den Sicherheitsbehörden im Kontext der Covid19-Krise gewertet werden. Das geht aus einer schriftlichen Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung hervor, deren Antwort dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.

Demnach seien dem zuständigen Bundesinnenministerium bisher insgesamt 225 Fälle antisemitischer Straftaten gemeldet worden, die im thematischen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. Sechzehn Straftaten antisemitischen Hintergrundes wurden im Kontext von Demonstrationen der sogenannten “Querdenken”-Bewegung festgestellt und sind durch einen zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang den jeweiligen Protestveranstaltungen zuzuordnen.

Darüber hinaus dürfte jedoch ein Großteil der über 200 gemeldeten Straftaten Unterstützern der Corona-Bewegung zugerechnet werden, da beispielsweise antisemitische, volksverhetzende Schmierereien an Test- und Impfzentren unabhängig von “demonstrativen” Ereignissen stehen.

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Insgesamt konnte die Polizei 136 Tatverdächtige ermitteln, der überwiegende Anteil davon ist männlich. Über die Hälfte der Delikte erfüllen den Tatbestand der Volksverhetzung, hinzu kommen Beleidigungen, Nötigungen und Bedrohungen und lediglich ein Fall von Körperverletzung, dessen antisemitischer Hintergrund auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist.

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Ein Großteil der Straftaten wird vom Bundeskriminalamt der politisch motivierten Kriminalität von Rechts zugeordnet, etwa 40 Delikte gelten als nicht zuordnungsbar.

Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei, Martina Renner, bezeichnet die “hohe Zahl antisemitischer Straftaten im Kontext der Coronaleugner-Proteste” dem Tagesspiegel gegenüber als “schockierend wie erwartbar”. Renner begrüßt darüber hinaus die überwiegende Zuordnung der Straftaten zum Phänomenbereich des politisch motivierten Rechtsextremismus, da neu geschaffene Begriffe wie “Delegitimierung des Staates” nach Ansicht der Politikerin “die extrem rechte Ideologie verwässern und verharmlosen”.

Nicht alles strafrechtlich relevant

Der Begriff der “Staats-Delegitimierung” ist vom Verfassungsschutz geprägt worden, der die “Querdenken”-Bewegung seit April bundesweit beobachtet. In der Begründung hieß es damals, dass die Extremismus- Tendenzen der Bewegung in vielen Fällen keinem bestehenden Beobachtungsobjekt, noch einem der Phänomenbereiche zuordbar ist.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) hat insgesamt deutlich mehr antisemitische Vorfälle gezählt, als die Zahlen der Bundesregierung hergeben. Laut Jahresabschlussbericht seien allein in Berlin im Jahr 2020 mehr als 180 antisemitische Vorfälle gezählt worden, die im Kontext zur Corona-Pandemie stehen.

Die Diskrepanz zur bundesweiten Statistik erklärt ein Sprecher damit, dass RIAS jegliche antisemitischen Vorfälle, auch außerhalb des Straftatbestandes, sammelt und ausgewertet. Gerade - die oft im Rahmen von Corona-Protesten, durch gelbe “Ungeimpft”-Sterne - zur Schau gestellte Bagatellisierung der Shoa, sei meist nicht strafrechtlich relevant. Auch das Verwenden von klassisch antisemitischen Chiffres und Codes wird von RIAS dokumentiert und anders als bei den Sicherheitsbehörden mitgezählt.

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