Protest gegen Coronaleugner im Echsenkostüm: „Nicht länger als fünf Minuten mit Verschwörungsgläubigen reden“
Seit einem Jahr verkleiden sie sich als Echsen, um Querdenker und Verschwörungsgläubige lächerlich zu machen. Was bringt das und wie reagiert die Polizei?
Wo immer in Berlin Coronaskeptiker:innen aufmarschieren, sind auch die Echsenmenschen nicht weit. Unter dem bunten Kunststoff stecken allerdings keine Pandemieleugner:innen, sondern Gegendemonstrant:innen. Einer von ihnen ist nun bereit, über seine Erfahrungen der vergangenen Monate, über verstörende Begegnungen und Momente der Hoffnung zu berichten. Aus Sicherheitsgründen möchte er hier nur Beni genannt werden.
Beni, Sie protestieren seit bald einem Jahr im Ganzkörperkostüm gegen Verschwörungsgläubige. Was soll das?
Wir denken, es ist enorm wichtig, dass diese Leute Widerspruch erfahren. Wir wollen uns über sie lustig machen und ihnen zeigen, wie peinlich sie sind. Und zumindest denen, die noch nicht komplett im Verschwörungssumpf stecken, damit vielleicht einen Impuls geben, dort nicht mitzumachen.
Ihre Verkleidung ist eine Anspielung auf einen besonders bizarren Verschwörungsglauben…
Als Außenstehende kann man sich das schwer vorstellen, aber es gibt tatsächlich Menschen, die glauben, die Welt werde von sogenannten Reptiloiden beherrscht. Das sind echsenförmige Außerirdische, die sich als Menschen tarnen, um nicht aufzufliegen – und uns irgendwie heimlich versklavt haben. Die meisten anderen Verschwörungsmythen basieren ja auf Antisemitismus. Mit dem Echsentum wollen wir die ständige Suche nach Sündenböcken persiflieren.
Wie protestiert es sich als Echsenmensch?
Man zieht das Kostüm an wie einen Strampelanzug, vorn ist ein Reißverschluss. Zwar gibt es ein Sichtfenster, aber es ist schwierig, sich im Kostüm zu verständigen.
Welche Reaktionen erleben Sie?
Der eine rastet aus, der nächste schüttelt nur den Kopf, wieder andere möchten unbedingt unsere Seelen retten...
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Lassen Sie sich auf Diskussionen ein?
Wir haben als Gruppe intern einen Konsens getroffen: nicht länger als fünf Minuten mit Verschwörungsgläubigen reden. Erstens können wir sowieso nicht alle einzeln überzeugen, und zweitens zieht die Menschenfeindlichkeit einen psychisch sehr runter. Das Diskutieren ist sinnvoller, wenn man einen Schwurbler im eigenen Verwandten- oder Bekanntenkreis hat. Da lohnt sich das. Auf den Demos sprechen wir die Leute lieber als Masse an, zum Beispiel mit dem Megafon.
Einmal haben Sie Teilnehmer:innen der Corona-Demonstrationen am Ende mit den Worten verhöhnt: „Ja, warum geht Ihr denn jetzt schon? Ihr wolltet doch den Staat stürzen!“
Unser Ansatz ist tatsächlich, diesen Menschen ihre eigene Lächerlichkeit aufzuzeigen. Das gelingt, finden wir, erstaunlich gut.
Was treibt Sie selbst dabei an?
Als ich im April 2020 mitbekam, wie sich die ersten Coronaleugner:innen am Rosa-Luxemburg-Platz vor der Volksbühne trafen, war ich entsetzt über diese Mischung aus Rechten, fundamentalen Christen und linken Überläufern. Und wie selbstverständlich da gewaltbereite Hooligans mitmachen durften. Es ist ein Märchen, dass die Rechtsextremen das Ganze später gekapert hätten. Die waren von Beginn an beteiligt und missbrauchen Corona für ihre Zwecke.
Weil damals Shutdown war, gab es kaum Gegenproteste ...
Wir waren stark in der Unterzahl. Also überlegten wir, wie wir die Aufmerksamkeit auf uns ziehen und uns unterscheiden könnten. Die Antifas unter uns hatten keine Lust auf Luftballons, die Kulturschaffenden wollten sich nicht vermummen. So haben wir uns dann auf Tierkostüme geeinigt. Das erste war eine Giraffe. Aber die Echsen passen halt inhaltlich besser, da haben wir uns weiterentwickelt.
Sind solche Kostüme teuer?
Die haben wir teils geschenkt bekommen, teils ausgeborgt. Einige sind Leihgaben einer Initiative für autofreie Innenstädte.
Wie steht die Polizei zu Ihnen?
Erstaunlicherweise sehr gut, sie hat uns mehrfach eskortiert. Die Einsatzkräfte haben es mit den Verschwörungsgläubigen auch nicht leicht: Sie werden als „SS“ beschimpft und müssen sich viel Geschwurbel anhören. Leider können sie ja nicht einfach weggehen, wenn sich diese Leute vor ihnen aufbauen und ihre Seele retten wollen. Ich schätze, die Polizist:innen freuen sich einfach, zwischendurch auch mal vernünftige Menschen wie uns zu sehen.
Gab es mit Demoteilnehmer:innen auch angenehme Momente?
Da waren die Kinder, die von verschwörungsgläubigen Eltern mit zu Aufmärschen gebracht wurden, aber lieber mit uns spielen wollten. Und natürlich laufen da nicht nur Faschisten rum. Viele sind noch erreichbar – manche zum ersten Mal in ihrem Leben politisch engagiert. Oder zum ersten Mal seit der Wende.
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Haben Sie denn das Gefühl, mit Ihren Aktionen irgendetwas zu bewirken?
Im Film „Baseballschlägerjahre“ kommt ein Nazi-Aussteiger zu Wort, der sagt: „Es war nicht meine Familie, die mich da rausgeholt hat, es waren die Gegenproteste.“ Und wir laufen ja nicht nur in den bunten Kostümen rum, wir verteilen auch Flyer mit Argumenten drauf, wir diskutieren im Internet, veranstalten Fahrradkorsos. Bei unseren Gegenprotesten machen inzwischen auch ein paar Menschen mit, die zu Beginn der Pandemie selbst noch verschwörungsgläubig waren. Die haben es da rausgeschafft und wollen jetzt andere warnen, vor allem davor, wie tief Rechtsextreme in diese Aktivitäten verstrickt sind.
Unter den Verschwörungsgläubigen hat sich im Laufe der Pandemie eine Reihe von Meinungsführern herausgebildet: Anselm Lenz, Ken Jebsen, Michael Ballweg, Attila Hildmann, Captain Future ... Alles Männer. Was eint sie sonst noch?
Ich will mir nicht anmaßen, hier psychologische Diagnosen zu stellen, aber einen gehörigen Geltungsdrang haben die alle. Und sie grenzen sich nicht nach rechts ab beziehungsweise sind es selbst.
Und wie hat sich die Szene nach Ihrem Eindruck über das vergangene Jahr entwickelt?
Die Zahl der aktiven Schwurbler:innen wird zwar kleiner, die halbwegs Vernünftigen scheinen sich abgewendet zu haben. Das bedeutet aber auch, dass die Verbliebenen umso radikaler sind. Von denen haben viele einfach schon zu viel investiert, die haben eine Menge Geld ausgegeben, alte Freunde verloren, kurz: sind viel zu weit gegangen, um jetzt einfach aufzugeben.
Was bedeutet das?
Ich könnte mir vorstellen, dass sich unter den Radikaleren auch terroristische Strukturen entwickeln werden. In Berlin gab es inzwischen ja Angriffe auf Presse, Polizei, Impfzentren und Gegenproteste. Vergangenen Monat wurden in Dortmund bei einem Autokorso auch Waffen gefunden. Immerhin hat die breite Öffentlichkeit inzwischen mitgekriegt, was sich da zusammengebraut hat. Aber eben sehr spät.
In Berlin war eigentlich bereits Anfang Mai klar, dass in der Szene Gewaltbereitschaft existiert. Mit welcher Selbstverständlichkeit in deren Reihen Cottbusser Hooligans willkommen geheißen wurden, das war bezeichnend.
Klingt düster.
Ich fürchte, wir werden uns noch lange mit den Verschwörungsideologen beschäftigen müssen. Wir von der „Antiverschwurbelten Aktion“ versuchen jetzt, uns zu vernetzen, damit es bald hoffentlich auch in anderen Bundesländern Echsengruppen gibt. Und wir wollen nach Stuttgart gehen, in die Hochburg von Querdenken. Wir nennen das „Sturm auf Stuttgart“, aber ich gebe zu, so ganz haben wir das noch nicht durchdacht.
Das Gespräch führte Sebastian Leber.