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Gut versorgt? Obwohl seit 2006 mehr Kindergartenplätze in Deutschland geschaffen wurden, ist der Bedarf noch nicht gedeckt. Vor allem Krippenplätze für Kinder unter drei sind vielerorts rar.
© dpa
Update

Bedarf und Bedürfnisse: 220.000 Betreuungsplätze für Kleinkinder fehlen

Deutschland ist weit davon entfernt, bis zum August 2013 ein ausreichendes Betreuungsangebot für Kleinkinder zur Verfügung zu stellen. Der Krippenausbau hinkt den Zusagen hinterher. Viele Eltern könnten nächstes Jahr klagen.

Um das Ziel zu erreichen, für 780.000 der unter Dreijährigen ein Betreuungsangebot zur Verfügung zu stellen, müssten noch rund 220 000 Plätze für Kleinkinder geschaffen werden, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag in Berlin mit.

Kinder von ein bis drei Jahren haben ab 1. August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kinderkrippe, einer Kita oder bei einer Tagesmutter. Der Anspruch gilt bundesweit. Das Statistische Bundesamt will am Vormittag in Berlin Daten zur „Kindertagesbetreuung in Deutschland 2012“ bekanntgeben.

Die Zeit drängt. Bund, Kommunen und Ländern bleiben nicht einmal sieben Monate, um das einzulösen, was auf dem Krippen-Gipfel 2007 vereinbart wurde: bundesweit 750 000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei zum Stichtag 1. August 2013. Die Politik ging damals von einer durchschnittlichen Betreuungsquote von 35 Prozent deutschlandweit aus – eine Zahl, die mittlerweile nach oben korrigiert werden musste. 780 000 Plätze, schätzt das Statistische Bundesamt, sind tatsächlich nötig, damit alle versorgt sind.

Dass dieses Ziel zum vereinbarten Zeitpunkt auf keinen Fall erreicht werden kann, stand für den Deutschen Städtetag schon vor Veröffentlichung der Destatis-Zahlen fest. Die Vereinigung rechnet wie der Städte- und Gemeindebund vor allem in Großstädten mit riesigen Versorgungslücken, weil dort die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen oft weit größer ist als im bundesweiten Durchschnitt.

Zudem ist es offenbar schwierig, die Fülle unterschiedlicher Bedürfnisse der Eltern auf der Angebotsseite unter einen Hut zu bringen. Während beispielsweise die einen einen Ganztagsplatz für ihr Kind in der Nähe des Wohnortes benötigen, reicht anderen eine Teilzeitversorgung bis zum Nachmittag. Wer im Schichtdienst arbeitet, ist auf andere Betreuungszeiten angewiesen als jemand mit einem Job von neun bis fünf. Und wer am Tag erst spät loslegt mit der Arbeit, braucht unter Umständen bis in den Abend hinein einen Betreuer fürs Kind. Hinzu kommt, dass vor allem Krippenplätze, also Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren, nicht ausreichend vorhanden sind. Diese Plätze sind wegen des Mangels an Kapazitäten bei den Eltern nicht nur sehr begehrt, sondern auf der anderen Seite auch sehr betreuungsintensiv. Für einen Säugling, der noch nicht laufen und alleine essen kann, müssen die Erzieher womöglich mehr Zeit aufwenden als für ein Kleinkind, dass schon auf eigenen Beinen steht.

Neben der bloßen Differenz zwischen Angebot und Nachfrage und den unterschiedlichen Bedürfnissen von Kindern und Eltern hakt es in Sachen Kinderbetreuung aber auch noch an anderen Ecken und Enden. So streiten Bund und Länder seit Wochen über die sogenannte Berichtspflicht beim Kita-Ausbau. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wollte die Länder ursprünglich dazu verpflichten, einmal pro Monat beim Bund vorzutragen, wo die zur Verfügung gestellten 580,5 Millionen Euro für 30 000 zusätzliche Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren hingeflossen sind. Die Länder hatten die Annahme der Mittel im Bundesrat deshalb verweigert. Am Montag trafen sich im Bundesfamilienministerium Vertreter von Bund und Ländern, um die Sache endgültig aus der Welt zu schaffen. Nach Tagesspiegel-Informationen müssen die Länder künftig nicht mehr monatlich, sondern quartalsweise beim Bund zum Kita-Rapport.

Während das eine Problem gelöst ist, zieht am Horizont bereits ein weiteres herauf. Der Rechtsanspruch von Eltern auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres tritt am 1. August 2013 in Kraft. Wer dann keinen Platz in der Kita oder bei der Tagesmutter bekommt, kann diesen bei Gericht einklagen beziehungsweise Schadenersatz geltend machen – beispielsweise für entgangenes Gehalt, wenn das Kind weiter zu Hause betreut werden muss.

Noch haben Bund und Länder sich nicht dazu eingelassen, wie sie mit einer möglichen Klagewelle umgehen wollen. Der Deutsche Städtebund sieht alle Beteiligten in der Pflicht, in den kommenden Monaten eine „Übergangslösung“ für fehlende Plätze auszuarbeiten, ohne aber eigene Vorschläge zu machen. Im Gespräch waren in der jüngsten Vergangenheit unter anderem die Aufteilung von nicht benötigten Ganztages- in mehrere Halbtagesplätze, die Vergrößerung von Kita-Gruppen oder die Lockerung der Vorgaben für Räume und Grünflächen.

Eine weitere Möglichkeit hat bislang noch keiner in Erwägung gezogen: Die Verschiebung des Stichtags 1. August. Sie würde den Beteiligten mehr Zeit zum Kita-Ausbau verschaffen, bedürfte aber einer Gesetzesänderung. Eine solche müsste jetzt angeschoben werden. Die Zeit wird knapp. (mit dapd)

Sarah Kramer

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