Sachsen-Anhalt: 22-Jähriger stirbt nach Streit in Köthen
Ein junger Mann kommt nach einem Streit ums Leben. Laut vorläufigem Obduktionsergebnis starb er an Herzversagen. Rechte versammeln sich bei einer Kundgebung.
Nach einem Streit zwischen zwei Männergruppen in Köthen ist ein 22-Jähriger gestorben. Zwei Afghanen wurden in der Nacht zum Sonntag wegen des Anfangsverdachts eines Tötungsdelikts festgenommen, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt gemeinsam mitteilten.
Inzwischen liegt der Polizei ein vorläufiges Obduktionsergebnis vor. Demnach ist der 22-Jährige an einem akuten Herzversagen verstorben, das nicht in direktem Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen stehe, berichtet die Polizei. Die Mitteldeutsche Zeitung schreibt, der junge Mann soll eine kardiologische Vorerkrankung gehabt haben.
Am Sonntagnachmittag berichtete die Polizei, die Behörden ermittelten gegen einen Tatverdächtigen wegen gefährlicher Körperverletzung und gegen den zweiten Tatverdächtigen wegen des Anfangsverdachts der Körperverletzung mit Todesfolge. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur war es vor dem Tod an einem Spielplatz zu einem Streit zwischen mehreren Männern gekommen. Kurz darauf kamen der 22-Jährige und ein Begleiter dazu. Der Tote war den Informationen zufolge deutscher Staatsbürger.
2500 Personen bei "Trauermarsch"
Am Sonntagabend beteiligten sich nach Schätzungen rund 2500 Menschen an einer Kundgebung, die als sogenannter Trauermarsch vermarktet wurde. Die Teilnehmer zogen nach Augenzeugenberichten zunächst schweigend und ohne Transparente oder Spruchbänder durch die Straße in Richtung eines Spielplatzes, wo sich der Streit ereignet hatte. Dort legten Teilnehmer Blumen nieder. Nach stillem Beginn wurde die Stimmung allerdings zwischenzeitlich aggressiver. „Dies ist ein Tag der Trauer. Aber wir werden die Trauer in Wut verwandeln“, sagte ein Redner am Sonntagabend auf dem Spielplatz, auf dem es am Vorabend zu dem Streit zwischen zwei Männergruppen gekommen war. „Widerstand“, „Auge um Auge“, „Zahn um Zahn“ und „Wir sind das Volk“ erschallte es aus dem Kreis der Anwesenden, von denen viele Aufrufen rechter Gruppierungen in sozialen Netzwerken gefolgt waren.
Andere skandierten „Lügenpresse“. Als ein TAZ-Reporter die Szenerie mit einem Handy filmte, wurde er geschubst, die Polizei griff schnell ein.
In einem Video beschrieb der Reporter, dass die Polizei ihm empfohlen habe, sich aus Sicherheitsgründen zurück zu ziehen. Auch andere Journalisten erlebten Zwischenfälle.
Mehrere Teilnehmer betonten, dass sich nicht nur Rechte zu dem Marsch versammelt hätten. Eine junge Frau sagte, sie dachte, Chemnitz sei weit weg - „aber Pustekuchen“. Inzwischen haben sich die Teilnehmer auf den Rückweg gemacht.
Rechte Gruppierungen hatten in sozialen Netzwerken zur Teilnahme an der Aktion in der Stadt in Sachsen-Anhalt aufgerufen. Ähnlich wie in Chemnitz seit dem 26. August wollen sie den Vorfall zur Mobilisierung nutzen. "#Köthen ist das nächste #Chemnitz!", hieß es dazu bei der Neonazi-Kleinpartei "Die Rechte". Und: "Besonnen waren wir Deutschen viel zu lange - jetzt ist Zeit für Wut, Trauer und Widerstand!". In einem Tweet des bundesweit vernetzten Neonazi-Kaders Dieter Riefling hieß es ähnlich, Chemnitz sei auch in Köthen. Riefling rief ebenfalls zur Teilnahme an einem "Trauermarsch für das deutsche Opfer" auf.
Auch die AfD, die derzeit im nahen Dessau ihren Landesparteitag abhält, erwägte am Sonntag einen Trauermarsch durch Köthen. Auf dem Parteitag war der tödliche Streit laut einem Bericht der "Mitteldeutschen Zeitung" Thema, es wurde eine Schweigeminute geplant. "Zunächst warten wir das Ergebnis der Obduktion ab und rufen zu Besonnenheit auf“, zitierte das Blatt den Köthener AfD-Landtagsabgeordneten Hannes Loth bevor der Obduktionsbericht bekannt wurde.
"Wir drücken aber schon jetzt den Angehörigen unser tiefes Mitgefühl aus. Danach entscheiden wir, ob wir einen Trauermarsch durch Köthen planen", sagte Loth. Dass sich daran dann Pegida beteilige, "können wir nicht ausschließen". Man würde aber darauf achten, "dass es ein Trauermarsch wird, keine politische Kundgebung".
Gegenprotest des Bündnisses "Dessau nazifrei"
Vor dem "Trauermarsch" demonstrierten am Sonntagabend rund 200 Menschen gegen rechte Hetze. Sie waren dem Aufruf der Linken-Politikerin Henriette Quade gefolgt und hatten sich am Bahnhof der Stadt versammelt. „Wo sich der Mob formiert, funken wir dazwischen“, war auf Spruchbändern zu lesen. Das Bündnis "Dessau nazifrei" hatte zuvor auf Facebook einen Aufruf zum Gegenprotest verbreitet. Nach den Ereignissen in Chemnitz sei zu befürchten, dass es wieder zu einem gewalttätigen Aufmarsch und Hetzjagden auf Migranten von Seiten "besorgter Bürger" und rechtsextremer Gruppierungen komme, hieß es darin. "Um dem rechten Lynchmob erst gar keine Chance zu geben, sich zu formieren, unkontrolliert durch die Stadt zu rennen und Jagd auf Migranten zu machen, rufen wir ebenfalls dazu auf, heute nach Köthen zu fahren!"
Polizei mit mindestens 500 Beamten in Köthen
Die Polizei Sachsen-Anhalt wollte besser vorbereitet sein als ihre Kolleginnen und Kollegen am 26. und 27. August in Chemnitz und am Sonntagabend nach Tagesspiegel-Informationen mit mindestens 500 Beamten in Köthen sein. "Denen ist die Brisanz klar. Die fordern alles an, was geht", sagte ein über die Einsatzplanung informierter Innenexperte im Landtag.
Nach Angaben des Experten gab es zu Zusagen bereits aus Berlin, vermutlich würden auch Kräfte aus Niedersachsen angefordert und die Bundespolizei um Unterstützung gebeten. "Das Innenministerium ist im Unterschied zu Chemnitz alarmiert", hieß es.
Ein "Bild"-Reporter hatte zuvor auf Twitter berichtet, eine Hundertschaft der Berliner Polizei sei auf dem Weg nach Köthen, weitere in Alarmbereitschaft. "Offenbar aus Chemnitz gelernt", kommentierte er.
Drei aus Afghanistan stammende Männer sollen mit einer Frau auf dem Spielplatz gewesen sein und darüber gestritten haben, von wem die Frau schwanger ist. Dann seien die beiden Deutschen hinzugekommen. Nach MZ-Informationen ist unklar, ob sich die beiden Deutschen ungefragt in eine nicht-körperliche Auseinandersetzung eingemischt haben, oder der Frau beistanden, weil sie um Hilfe rief. Es kam zum schweren Streit, wobei der 22-Jährige starb. Laut Zeugenaussagen soll der Verstorbene von einem oder mehreren Afghanen gegen den Kopf getreten worden sein, berichtet die MZ. Ursächlich für den Tod sei allerdings nicht direkte Gewalt gewesen. Nach MZ-Informationen wurde bei der Obduktion am Sonntag festgestellt, dass der junge Mann an einem Herzinfarkt gestorben ist.
Wie die "Welt" berichtet, soll das Opfer zunächst noch ins Krankenhaus gebracht worden sein, wo ihn sein Bruder aufsuchte. Bei diesem Bruder handele es sich um einen vorbestraften rechtsextremen Intensivtäter.
Sachsen-Anhalts Integrationsbeauftragte Susi Möbbeck (SPD) schrieb auf Twitter: "So traurig. Ein Mensch ist gewaltsam zu Tode gekommen. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen." Und: "Gewalt ist immer und überall zu verurteilen. Zeit für Trauer. Zeit für Besonnenheit. Passt aufeinander auf."
Auch Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht rief zur Besonnenheit auf. Er habe vollstes Verständnis für die Betroffenheit der Bürger, sagte der CDU-Politiker der dpa. Der Rechtsstaat werde alle Mittel konsequent einsetzen, Justiz und Polizei ermittelten in enger Abstimmung. „Der tragische Tod des jungen Mannes geht mir sehr nahe, und ich bedaure das Geschehene zutiefst.“
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) warnte vor einer Instrumentalisierung des Falls. „Bei aller Emotionalität ist jeder Versuch zurückzuweisen, aus Köthen, wie es im Internet heißt, ein zweites Chemnitz machen zu wollen“, sagte er der dpa. Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Jörg Schindler, sagte: "Ein Mensch ist gestorben, das ist eine Tragödie. Nicht die Nationalität des Mannes darf jetzt im Mittelpunkt stehen, sondern das Mitgefühl mit den Angehörigen und die Aufklärung der Tat." Rechtsextreme Aufmärsche und gewaltsame Ausschreitungen wie in Chemnitz müssten verhindert werden.
Auch andere Politiker und Kirchenvertreter riefen zu Besonnenheit auf. "Ich kann nur hoffen und appellieren, dass nicht Gewalt mit Gewalt quittiert wird", sagte der Köthener Kreisoberpfarrer Lothar Scholz am Sonntag am Tatort auf einem Spielplatz. "Wir sind betroffen, was hier geschehen ist."
Der Landrat des Kreises Anhalt-Bitterfeld, Uwe Schulze (CDU), sagte: "Wir gehen davon aus, dass der deutsche Rechtsstaat Recht walten lässt. Wir wissen aber noch nicht genau, was passiert ist." Der Landrat sagte, die Aufeinanderfolge von Chemnitz und Köthen "ist für uns schlecht". Er betonte, die Bundesregierung müsse sich überlegen, wie sie die Migration insgesamt gestalten wolle.
Auf dem Spielplatz, an dessen Rand die Auseinandersetzung geschah, legten am Sonntag zahlreiche Bürger, Politiker und Kirchenvertreter Blumen nieder und stellten Kerzen auf.
In Chemnitz war vor zwei Wochen ein 35-jähriger Deutscher mit kubanischen Wurzeln getötet worden. Zwei junge Männer sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Sie stammen nach eigenen Angaben aus Syrien und dem Irak. Ein weiterer Verdächtiger wird gesucht. Seitdem gibt es in Chemnitz immer wieder fremdenfeindliche und teils aggressive Proteste. Tausende Menschen demonstrieren seither auch gegen rechte Hetze und für Toleranz. (mit dpa)