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15 000 Strenggläubige versammelten sich zur Beerdigung eines Rabbis.
© dpa

Trauermarsch zieht durch Jerusalem: 15.000 Ultraorthodoxe missachten Corona-Auflagen

Trotz der effektiven Impfkampagne breitet sich das Covid-19-Virus vor allem in ultraorthodoxen Gebieten Israels weiter aus. Ist der Staat machtlos?

Für viele Betrachter war es ein eindrückliches Bild staatlichen Versagens. Ein Meer aus schwarzen Hüten füllte am Sonntag mehrere Straßen von Jerusalem. Dicht an dicht drängten sich um die 15 000 ultraorthodoxe Männer, viele von ihnen ohne Maske, um einem verstorbenen Rabbiner die letzte Ehre zu erweisen.

Polizisten seien zugegen gewesen, berichteten lokale Medien, hätten jedoch bloß hier und da den Verkehr gestoppt – um den Trauerzug passieren zu lassen.

„Millionen von Familien und Kindern sind in ihren Häusern eingeschlossen und halten sich an die Regeln, während Tausende Ultraorthodoxe sich auf einer Beerdigung versammeln“, schrieb Israels Verteidigungsminister Benny Gantz auf Twitter. Eine korrekte Beobachtung, die jedoch die Frage aufwirft: Wo war der Staat, den Gantz vertritt?

Trotz einer sehr effektiven Impfkampagne stecken sich in Israel weiterhin täglich Tausende mit dem Covid-19-Virus an. Der Januar war dort der bisher tödlichste seit Beginn der Pandemie: Rund ein Drittel aller Israelis, die der Krankheit zum Opfer fielen, starben in jenem Monat.

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Um die Infektionsrate zu senken, beschloss die Regierung am Sonntag, den Lockdown bis vorerst Freitag zu verlängern. Offiziell dürfen die Bürger im Freien maximal zu zehnt zusammenkommen. Doch was nützen die strengen Regeln, wenn der Staat nicht willens oder fähig ist, sie durchzusetzen?

Den Versuch einer Rechtfertigung lieferte Assi Aharoni, ein Polizei-Hauptkommissar, im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Ynet. „Hätte die Polizei sie mit Gewalt aufgelöst“, wären Hunderte zertrampelt worden“, sagte er über die Beerdigungsgäste. Mit ihrer Zurückhaltung habe die Polizei ein „Blutbad“ verhindert.

Manche Ultraorthodoxe widersetzen sich den staatlichen Auflagen

Viele Israelis dürfte diese Begründung nicht überzeugen. Stunden nach der ersten Trauerprozession strömten ein zweites Mal Tausende Ultraorthodoxe auf Jerusalems Straßen, um den Tod eines weiteren Rabbiners zu betrauern. Medienberichten zufolge war der 98-jährige Yitzchak Aryeh Sheiner an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben und hatte zuvor selbst noch dazu aufgerufen, Menschenansammlungen zu meiden.

Die Ultraorthodoxen, in Israel Haredim genannt, machen rund zwölf Prozent der Bevölkerung aus. Manche von ihnen widersetzen sich seit Beginn der Pandemie den staatlichen Auflagen, halten etwa Schulen und Synagogen geöffnet.

Doch auch unabhängig davon verbreitet sich das Virus in ultraorthodoxen Städten leichter, weil die Strenggläubigen im Schnitt mehr Kinder und weniger Einkommen haben als die Durchschnittsgesellschaft und daher enger zusammenleben. Aus diesen Gründen ist der Prozentsatz der Haredim unter den aktuell an Covid-19 erkrankten Israelis rund drei Mal so hoch wie ihr Anteil an der Bevölkerung.

Kritiker werfen Premier Benjamin Netanjahu vor, die frommen Regelbrecher gewähren zu lassen, um seine Allianz mit zwei ultraorthodoxen Parteien nicht zu gefährden. Ende März finden Wahlen statt. Unabhängig von ihrem Ausgang wird Netanjahu für eine mögliche Koalitionsbildung die Haredim brauchen.

Doch selbst innerhalb Netanjahus LikudPartei scheint der Frust über die Lage zu wachsen. „Eine Beerdigung, die leider zu weiteren Beerdingungen führen wird“, kommentierte Vize-Gesundheitsminister Yoav Kisch die Bilder aus Jerusalem.

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