Drogen in der Politik: Wozu Parlamentarier durch ihre Arbeit verführt werden
Der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann hat Drogen genommen. Im Bundestag ist er nicht der einzige. Drogen wirken für manchen Politiker als Ausgleich für die ultimative Belastung. Und sie sind nicht das einzige, woran sich Parlamentarier berauschen.
Ist das ein Leben. Ist das ein Leben? Acht Ehrenämter von Bedeutung, vom Vorsitz des Förderkreises Rheinland-Pfälzischer Multiple-Sklerose-Kranker bis hin zum Mitglied des Arbeitskreises Politische Grundfragen im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, daneben Freundeskreise, Karnevalsverein und die Pflichten als Abgeordneter, innenpolitischer Experte, Parteifunktionär auf mehreren Ebenen … Das ist das Leben von Michael Hartmann. Ein Leben im Minutentakt. Und da wundert sich einer, dass Hartmann eine leistungssteigernde Droge nimmt?
Natürlich ist Suchtverhalten nicht der Politik vorbehalten. Workaholics mit seelischen Schäden gibt es auch woanders, in anderen Berufen. Aber bei Politikern – wer denkt da nicht gleich an Realitätsverlust? Was gefährlich sein kann. Denn wer als unser Vertreter, als Volksvertreter, souverän den Alltag regeln muss, der darf sich doch nicht mit Drogen auf einen anderen Planeten schießen. Der darf doch die wahre Wirklichkeit nicht ausblenden. Der darf keine Frage wie die provozieren: In welcher Welt lebt der?
Politiker im „Machtrausch“
Aber genau das ist ja der Druck, unter dem er steht, der Politiker. Die Wirklichkeit der anderen dringt ein in sein Leben. Von wegen Privatleben. Familie, Freundschaften, Hobbys – der Mensch, den wir ins Parlament abordnen, muss sich der Teilhabe an der Macht unterordnen. Er muss die Möglichkeiten nutzen, muss sich dazu „genehm“ machen, wie Helmut Schmidt das einmal ausdrückte. Will er nicht wiedergewählt werden? Und so trifft ein Druck auf den anderen, alles schaukelt sich hoch in Extreme, ins Extrem des Gewolltwerdens und des Gewolltseins. Der Griff zur Flasche, zu Crystal Meth oder Koks, das auch schon im Bundestag gefunden wurde, wird Stimulanz für anhaltenden Höhenflug oder Ausgleich für ultimative Belastung. Dazu kommt dann der exzessive Gebrauch der Drogen „Aufmerksamkeit“ und „Bedeutung“.
Die Droge Politik – von Johannes Rau stammt der Begriff. Und der einer „Sehstörung“. Damit meinte er, dass Politiker dazu neigten, sich allzu sehr an ihrer eigenen Bedeutung zu berauschen, in dem Gefühl schwelgen, die Welt verändern zu können. Also gewissermaßen Politiker im „Machtrausch“. Das wusste übrigens schon Max Weber 1919. Nur dass wir sie heute „Politaholics“ nennen. Wie einfach und zugleich entlarvend die Politaholics Begriffe aus der Junkieszene verwenden, um sich zu beschreiben. Da ist einer süchtig nach Selbstbestätigung, ein anderer sagt, dass er sich als Ehemaliger von Politik entwöhnen musste. An Kicks ist ja auch kein Mangel, schrieb Jürgen Leinemann warnend. Bestätigung und Beifall, Aufmerksamkeit und Zustimmung, Stimulation von außen – oder durch Gefühle und innere Bilder. Ein rauschhaftes Erleben. Sucht ohne Drogen.
Die in Parlament und Regierung müssen keine Übermenschen sein
Auch der große Václav Havel befasste sich mit der teuflischen Versuchung der Macht. In der liege etwas Heimtückisches, Betrügerisches, Zweideutiges: Einerseits bestätige sie den Menschen von morgens bis abends, dass er wirklich existiert und etwas gilt. Und dann, dass sie den Politiker zugleich diskret, aber unaufhaltsam seiner Existenz und Identität beraubt. Der Politiker als Geisel seiner Position. Es sei etwas Todbringendes in dieser Versuchung. Todbringendes! Ja, etliche sind dem Tod entronnen, buchstäblich, sind krank geworden am Druck, der ihr Leben existenziell zusammengepresst hatte. Bei manchen kommt dann die Droge, die andere, um sich gegen Verletzungen zu wappnen, gegen Fehler und Selbstzweifel; und um ihre Version von sich selbst als Sieger zu bewahren.
Aber wahr ist eben auch: Mit den Suchtbegriffen, die sie benutzen, diffamieren sich die Politiker selbst. Dabei sind sie nicht anders als die Gesellschaft, die sie repräsentieren. Vieles deutet darauf hin, dass sich Politprofis der psychischen Unfallgefahr an ihrem Arbeitsplatz bewusst werden. Und wir, das Volk, wissen doch, wie es ist. Seien wir souverän. Die in Parlament und Regierung müssen keine Übermenschen sein. Sind wir doch alle nicht.