Debatte um Lebensschutz: Was verstehen wir eigentlich unter Sterbehilfe?
Über was reden wir eigentlich, wenn es um Sterbehilfe geht? Die Politik jedenfalls bringt bisher vieles durcheinander. Und der Verweis darauf, dass das Leben ein über allem stehendes, schützenswertes Gut sei, greift ebenfalls zu kurz. Denn das bestreitet auch niemand.
Wenn er doch geschwiegen hätte. Aber offenbar hatte Peter Tauber, der neue Generalsekretär der CDU, das Bedürfnis, gleich zum Start in sein neues Amt kräftig vom Leder zu ziehen. Besonders geeignet für solche Absichten und immer wieder beliebt: das Thema Lebensschutz. Also verkündete Peter Tauber, die CDU wolle sich dafür stark machen und „jede Form der Sterbehilfe verbieten“. Ob er sich das gut überlegt hat? Wirklich „jede Form“? Also auch die passive Sterbehilfe, die der Natur ihren Lauf lässt und das Leben nicht künstlich mit Maschinen und Medikamenten verlängert? Und ebenso die indirekte Sterbehilfe, bei der der Tod eines Patienten bei Gabe starker Schmerzmittel billigend in Kauf genommen wird? Beide Formen sind seit langem allgemein akzeptiert – sogar vom Vatikan. Wollte sich Tauber dagegen auflehnen? Oder hat er einfach nicht genau gewusst, wovon er spricht?
Mutmaßlich ist es das Zweite. Denn nun legte er nach, weil ihn offenbar kundige Berater auf die Unsinnigkeit seines Redens hingewiesen haben, und präzisierte: Es gehe ihm um die aktive Sterbehilfe, also um Tötung auf Verlangen, das wolle er verbieten. Leider macht es die neuerliche Forderung nicht viel besser: Warum möchte er etwas verbieten, was längst verboten ist? Und was zurzeit auch keine nennenswerte Zahl von Politikern verändern möchte – auch wenn eine neue Umfrage soeben ergab, das 70 Prozent der deutschen Bevölkerung dafür sind (was wohl hauptsächlich daran liegt, dass die Befragten mit dem Terminus „aktiv“ nicht sonderlich viel anfangen können).
Vermutlich meinte Peter Tauber etwas ganz anderes: Es ging ihm wahrscheinlich um den so genannten assistierten Suizid, jene Form der Sterbehilfe, bei der Ärzte ein tödliches Medikament verschreiben, das der Sterbewillige allerdings selbst und ohne Hilfe einnehmen muss. Dabei bleibt also die Tatherrschaft – im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe – bei ihm selbst. Das ist ein Thema, das seit langem kontrovers und häufig extrem emotional diskutiert wird und durch den Schweizer Verein „Dignitas“ sowie den früheren Hamburger Justizsenator Kusch immer wieder in die Schlagzeilen gekommen ist. Hier kann man in der Tat höchst verschiedener Ansicht sein, und das mit ehrbaren Argumenten – von welcher Seite auch immer.
Dennoch sollte man sich auch in diesem Fall die Mühe des Differenzierens machen. Denn eine der Fragen, die sich hier stellen, heißt: geschäftsmäßig oder gewerbsmäßig? Mit Ersterem sind Organisationen oder Einzelpersonen gemeint, die in der Lage sind, diese Form der Sterbehilfe fachkundig vorzunehmen. Mit Zweiterem solche, die das kommerziell betreiben, mit der Absicht also, damit Geld zu verdienen. Beides kann man selbstredend ablehnen, aber eine ehrliche Diskussion müsste diesen Unterschied zur Kenntnis nehmen. Er berührt schließlich grundlegende ethische Fragen.
Sterbehilfe sollte nicht gegen die Arbeit der Palliativmedizin ausgespielt werden
Sterbehilfe, das ist die Lektion, die Peter Tauber noch zu lernen hat, eignet sich nicht für starke Sprüche, nicht für populistische und für Vereinfacher noch weniger. Nicht nur weil es da um Leben und Tod geht, sondern auch weil sie mit sehr tiefliegenden und individuell höchst unterschiedlichen Schichten von Gewissen, Moral und Verantwortung zu tun haben. Weshalb es – und das ist der nächste Fehler des CDU-Generalsekretärs – auch fahrlässig ist, Sterbehilfe gegen die Arbeit der Palliativmedizin und der Hospizbewegung auszuspielen. Natürlich hat er recht, wenn er dafür mehr Geld und Aufmerksamkeit fordert. Das ist dringend nötig, denn Deutschland hat hier eminenten Nachholbedarf, gerade in ländlichen Regionen ist es schwer, Hilfe und Schmerzlinderung im Todeskampf zu erhalten.
Hier Verbesserungen zu fordern enthebt die politisch Verantwortlichen jedoch nicht der Aufgabe, sich der schwierigen Frage der Sterbehilfe zu stellen und darüber nachzudenken. Genau das wäre dann doch ein Verdienst von Peter Tauber: das Thema wieder in die öffentliche Debatte gebracht zu haben. Allerdings müsste es eine Debatte werden, die Anstrengungen nicht scheut. Denn der bloße Verweis darauf, dass das Leben ein über allem stehendes, schützenswertes Gut sei, wie das in der Vergangenheit besonders Mediziner und Kirchenleute nicht müde wurden zu tun, greift viel zu kurz. Es gibt schließlich niemanden, der das bestreiten wollte. Die Frage, vor der sich niemand drücken darf, lautet vielmehr: Gilt das auch immer und in jeden Fall für Menschen, die unerträglich Schmerzen leiden müssen? Welche Moral, welches Gesetz, welche Religion, welche Weltanschauung, welche Vernunft ermächtigt uns, ihnen Hilfe zu verweigern?