Ausbeutung der Erntehelfer: Warum ich keinen Spargel mehr essen kann
Spargel bedeutete für unsere Autorin Zugehörigkeit. Doch dieses Jahr geht sie mit Scheuklappen durch die Gemüseabteilung. Eine Kolumne.
Am liebsten mag ich ihn simpel. Scharf angebraten, mit Salz und Pfeffer. Dann strömt aus der heißen Pfanne der Geruch von Zugehörigkeit, während ich dabei zusehe, wie sich mein grüner Spargel langsam bräunt. Ich liebe ihn. Ich weiß, das macht mich in diesem Land zu nichts Besonderem.
Vermutlich schütteln die Ersten schon den Kopf und denken, nur weißer Spargel ist richtiger Spargel. Dabei ist der grüne viel knackiger, aromatischer, man muss ihn nicht schälen… Egal. Meine Meinung ist von der Kochkunstfreiheit gedeckt. Dieses Jahr werde ich allerdings auf mein geliebtes Gemüse verzichten – es geht nicht mehr anders.
Spargelsaison ist nur einmal im Jahr
Als Kind hasste ich Spargel. Da wurde ich aber auch wegen meines nicht-deutschen Nachnamens gehänselt und weil ich mein Butterbrot mit komischem Gewürz drauf aß, das die anderen Kinder nicht kannten. Auf dem Balkan kommt es in überproportional viele Gerichte, auf Deutsch heißt es Bockshornklee, wie ich Jahre später erfuhr.
Als ich nach Berlin zog, um zu studieren, hänselte mich niemand mehr wegen meines Namens. Ich aß auch kein Butterbrot mit Bockshornklee mehr, ging dafür immer im April auf den Markt oder zu Rewe und kaufte erwartungsvoll den ersten Spargel des Jahres. Natürlich hatte ich mich vorher über die Wunderwirkung, die er auf den Körper haben soll, eingelesen und nach Rezepten gegoogelt.
Am lauen Samstagabend im Restaurant in Kreuzberg einen Teller Spargel mit Kartoffeln für 14 Euro? Warum nicht! Spargelsaison ist nur einmal im Jahr. Dann kommt in Deutschland zur Abwechslung mal ein Gemüse aus dem Boden, das richtig nach etwas schmeckt.
Dicht drängten sich die Arbeiter
Aus dem Boden holen will den Spargel allerdings kein Brandenburger oder Niedersachse. Dass Spargelstechen eine Knochenarbeit unter miserabelsten Bedingungen ist, für die wir uns lieber Arbeiter aus Rumänien oder Polen holen, ist kein Geheimnis. Ich habe das bisher trotzdem immer erfolgreich verdrängt, wenn meine Küche nach Zugehörigkeit duftete.
Hart an der Grenze war es vergangenes Jahr, als Bilder von Flughäfen oder Busbahnhöfen voll von dichtgedrängten rumänischen Saisonarbeitern durch die Medien gingen. Mitten in der Pandemie. Ich schlich mit mulmigem Bauchgefühl zum Gemüseregal, unter meiner in Neukölln genähten Stoffmaske verzog ich den Mund und verstaute verstohlen die grünen Stangen in meinem Beutel.
„Arbeitsquarantäne“ auf dem Spargelhof
Dieses Jahr reicht es. Nein, anders: Dieses Jahr bin ich mit abgeschlossenem Studium und Festanstellung nicht auf Spargel angewiesen, um mich zur deutschen Middle Class zugehörig zu fühlen. Ziemlicher Luxus. Ich gehe deshalb seit Anfang April mit Scheuklappen durch die Gemüseabteilung. Auf einem Spargelhof in Niedersachsen gab es vergangene Woche einen Corona-Ausbruch, nicht der erste in Deutschland in dieser Saison.
Der Betrieb wurde nicht eingestellt, die Arbeiter:innen aus Osteuropa sind stattdessen in „Arbeitsquarantäne“. „Zusammen arbeiten, zusammen wohnen“ heißt das „Hygienekonzept“. Eine Arbeiterin sagt: „Für unsere Gesundheit interessiert sich hier niemand.“ Ich spaziere durch Kreuzberg, im Restaurant gibt’s Spargel mit Kartoffeln und Sauce Hollandaise zum Mitnehmen. Ich mache einen Bogen. Heute hole ich mir Sushi.
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