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Die bisherige Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.
© dpa

Aung San Suu Kyis Wahlsieg: Überall Verräter

"Ich werde alle Entscheidungen treffen": Birmas Wahlsiegerin interpretiert die militärisch geprägte Verfassung sehr eigenwillig. Ein Porträt

Was für ein Gefühl muss das für Aung San Suu Kyi sein: Auf den Tag fünf Jahre nach der Entlassung aus dem von der Junta verhängten Hausarrest erklärt Birmas Wahlkommission noch vor Ende der Stimmenauszählung ihre Partei NLD zur Siegerin der Parlamentswahl. Sie hat derart viele Sitze in den Kammern geholt, dass sie den nächsten Präsidenten stellen kann.

Sie folgt ihrem Lebensziel mit beispielloser Härte

Alle Mächtigen der Welt gratulieren der Lady und mahnen die Generäle, sich wie versprochen diesmal nicht gegen den Willen der 30 Millionen Wähler zu stellen. 1990 hatte das Militär einen ähnlich hohen Wahlsieg der Tochter des Nationalhelden Aung San ignoriert, die ohnehin nicht offene Wahl 2010 noch dazu gefälscht.

Doch allzu lautes Jubeln ist nicht angebracht: Das Militär hat nach geltender Verfassung eine Sperrminorität von 25 Prozent auch im neuen Parlament, darf drei Schlüsselminister benennen und jederzeit den Notstand ausrufen. Das dürfte den Generälen zunächst eine gewisse Gelassenheit geben. Hunderttausende, die zu den Minderheiten zählen, durften am Sonntag nicht abstimmen, und nur sieben von 15 Rebellengruppen haben das Nationale Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet.

Einen sehr genauen Blick ist auch das Verhalten der 70-jährigen Wahlsiegerin wert, die 1988 aus England nach Rangun zurückkam, weil ihre Mutter, eine Diplomatin, schwer krank war. Während der Studentenunruhen nahm Suu Kyi den Kampf ihres Vaters wieder auf und machte ihn zu ihrem Lebensziel. Diesem folgt sie bis heute mit beispielloser Härte gegen sich selbst, aber auch gegen andere. Sie reiste selbst dann nicht wieder nach Großbritannien, wo sie Philosophie, Politik und Wirtschaft studiert hatte und ihr Mann mit den Söhnen Alexander und Kim lebte, als Michael Aris 1999 im Sterben lag. Bis heute sind Partei-Ehemalige, die 2010 gegen ihren Willen zur Wahl antraten, für sie Verräter.

Diesmal hat Aung San Suu Kyi ihre Kandidaten mit harter Hand durchgesetzt, einige Weggefährten fanden das undemokratisch und verließen die NLD. Die Verfassung der Generäle von 2008 verwehrt ihr wegen der britischen Söhne das Präsidentenamt, doch sie gibt sich unbekümmert. Sie werde schon einen Präsidenten finden, das sei nur ein Posten. Vor allem: „Ich werde als Vorsitzende der Siegerpartei alle Entscheidungen treffen“, verkündet sie ungerührt. In den Ohren von Demokraten hat diese Äußerung diktatorische Klänge. In keiner Demokratie entscheidet eine Person allein.

Richard Licht

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