zum Hauptinhalt
Harmonisch sieht anders aus: Philipp Rösler (FDP) und Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt.
© dapd

Merkel und die Koalition: Schwarz-gelber Schwelbrand

Kaum jemanden hätte es gewundert, wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung in den letzten beiden Wochen geplatzt wäre und es nun Neuwahlen gäbe. Doch stattdessen flüchten sich CDU, CSU und FDP in hektischen politischen Aktionismus. Die Kanzlerin schaut zu.

So sieht es also aus, wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung Harmonie und Handlungsfähigkeit demonstrieren will. Nach drei Monaten Unterbrechung wird wieder einmal ein Koalitionsausschuss einberufen. Eifrig werden dazu in den Ministerien alle Aufgaben zusammengestellt, die derzeit sowieso auf dem Arbeitsplan stehen. Zweieinhalb Stunden tagt die illustre Runde am Sonntagabend im Kanzleramt. Anschließend präsentieren die drei Generalsekretäre froh gelaunt die "guten Ergebnisse" und tun so, als hätten sie in den letzten zweieinhalb Jahren nichts anders gemacht, als zum Wohle ihrer Wähler fleißig und konzentriert ihre politischen Hausaufgaben abzuarbeiten.

Tatsächlich jedoch haben CDU, CSU und FDP mit ihrem hektischen Aktionismus und der gespielten Harmonie das verheerende Bild, das die schwarz-gelbe Bundesregierung ihren Wählern derzeit bietet, nur bestätigt oder sogar verstärkt. Schließlich steht der Koalitionsgipfel vom Sonntag nicht nur im scharfen Kontrast zu dem permanenten Koalitionstheater der letzten Wochen und Monate. Darüber hinaus bestätigt das Sammelsurium von zweitrangigen Themen, mit denen sich die Koalitionäre am Sonntag beschäftigten, noch den Eindruck, als hätten sie den Ernst ihrer Lage überhaupt nicht erkannt.

Es ist nicht zu übersehen, die schwarz-gelbe Koalition hat ein politischer Schwelbrand erfasst, der sich nur noch schwer löschen lässt, vor allem nicht mit Zusammenkünften, die eher an das Treffen einer politischen Selbsthilfe erinnern.

Viel ist bei dem groß angekündigten Koalitionsgipfel zwischen CDU, CSU und FDP in der Tat nicht herausgekommen, auch wenn das Protokoll der Zusammenkunft insgesamt zwölf Stichworte umfasst. Es reicht von Warnschussarrest bis Kronzeugenregelung, von Finanz-TÜV bis Sorgerecht, von der Demografie bis zum Urheberrecht im Internet. Mancher Kompromiss war dabei, bei dem der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben war, dass die Koalitionsparteien, die sonst so gerne streiten, überhaupt im Clinch lagen. Für diese Agenda hätten die Koalitionsparteien auch ihre Staatssekretäre ins Kanzleramt schicken können.

Auf der anderen Seite waren die großen Konfliktthemen der schwarz-gelben Regierung wie Mindestlohn oder Vorratsdatenspeicherung, Pflegeversicherung oder Betreuungsgeld, Steuerreform oder Eurorettung ausgespart. Auch die Causa Gauck wurde nicht noch einmal angesprochen. Stattdessen soll der bereits verkündete Kompromiss bei der Kürzung der Solarförderung noch einmal auf den Prüfstand. Ein neuer Kleinkrieg zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsminister ist da vorprogrammiert. Bei der Energiewende, dem wichtigsten innenpolitischen Projekt der Bundesregierung, ist die Koalition am Sonntag also nicht zwei Schritte vorangegangen, sondern einen zurück.

Es ist für CDU, CSU und FDP ja auch gar nicht so einfach, zu Business as usual zurückzukehren. Auch wenn die bevorstehende Landtagswahl in Schleswig-Holstein die Koalitionspartner in den kommenden beiden Monaten disziplinieren dürfte.

Schlechte Stimmung in der Koalition

Tief hat sich schließlich das Misstrauen in die einstige Wunschkoalition hineingefressen. Vor zwei Wochen stand die Koalition sogar vor dem Aus, nachdem die FDP der Kanzlerin bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten mit dem Vorschlag Joachim Gauck die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Vor sechs Tagen stand die Koalition bei der Abstimmung im Bundestag über das zweite Euro-Rettungspaket ohne Kanzlermehrheit da. Dazu philosophierte der CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich über den Rauswurf Griechenlands aus dem Euro und fiel der Kanzlerin bei einer wichtigen Entscheidung der Koalition in den Rücken. Kein Wunder, dass die Stimmung in der Koalition schlecht ist, die handelnden Akteure kein Vertrauen mehr zueinander haben. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand reden die Koalitionspartner schlecht übereinander, auch öffentlich wird nachgetreten.

Es ist nicht zu übersehen, diese Regierung hat keine gemeinsamen Ziele mehr und noch nicht einmal mehr Vertrauen zueinander. Vor allem die beiden kleinen Koalitionspartner, die beide auf unterschiedliche Art in einem Überlebenskampf stecken, arbeiten nur noch auf eigene Rechnung. Diesen Eindruck können auch die verordnete Harmonie und der hektische Aktionismus vom Sonntag nicht wettmachen.

Im Gegenteil, niemanden hätte es mehr überrascht, wenn die schwarz-gelbe Regierung in den letzten beiden Wochen auseinandergebrochen wäre. Niemand hätte sich gewundert, wenn Angela Merkel die FDP aus der Regierung oder den Innenminister aus dem Kabinett geworfen hätte. Selbst die Ankündigung von Neuwahlen wäre von vielen politischen Beobachtern als Ende des schwarz-gelben Schreckens begrüßt worden. Anders als die FDP würden die Unionsparteien und allen voran die Bundeskanzlerin von vorgezogenen Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt vermutlich sogar profitieren.

Stattdessen hat Angela Merkel sich zum Wegducken und politischen Durchwurschteln entschlossen. Sie ist halt keine Regierungschefin, die Machtworte liebt oder wie ihr Vorgänger Schröder verzweifelt die Flucht nach vorne sucht. Sie ist keine Kanzlerin, die führt, sondern lieber moderiert. Nur stößt sie mit diesem Regierungsstil mittlerweile an ihre Grenzen.

Man darf gespannt sein, wie lange das noch gut geht. Irgendwann schlägt jeder Schwelbrand Flammen und dann brennt es plötzlich lichterloh. Schon bei der nächsten Runde der Eurorettung oder spätestens nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein könnte es soweit sein. Schließlich spricht vieles dafür, dass auch dort die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert und der CDU einmal mehr vor Augen geführt wird, dass mit diesen Liberalen kein Staat und vor allem keine bürgerliche Mehrheit mehr zu machen ist.

"Politik beginnt mit dem Betrachten von Wirklichkeit", sagte CDU-Fraktionschef Volker Kauder im ZDF-Morgenmagazin zu den Ergebnissen des Koalitionsgipfels vom Sonntag. Wenn das stimmt, haben sich die Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP in den letzten Monaten Schritt für Schritt von der Wirklichkeit abgewandt. Die Wähler oder die Eurokrise jedoch könnten Schwarz-Gelb schon bald in die Realität zurückholen.

Christoph Seils ist Ressortleiter Online von Cicero. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch "Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien" erschienen.

Zur Startseite