Gastkommentar: Politische Korrektheit: Fatale Karriere eines Begriffs
So berechtigt Kritik an überdrehter „politischer Korrektheit“ ist: Inzwischen hat diese Kritik einen bedenklichen Drall entwickelt. Es entstand ein Kampfbegriff, eine Parole national- oder christlich-konservativer Kreise.
Man hat es in der Bundesrepublik im Jahr 2014 nicht leicht, wenn man Haltungen kritisiert, die gemeinhin als „politisch korrekt“ gelten. Wenn man also etwa gegen das so genannte „Gendermainstreaming“ ist, das die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau für irrelevant erklärt und behauptet, die männliche oder weibliche oder transsexuelle Identität seien eine völlig freie Entscheidung des Menschen. Oder wenn man das Betreuungsgeld für eine gute Sache hält, weil der Staat nicht nur ein bestimmtes Familienmodell, nämlich das der arbeitenden Mutter fördern soll. Weil man findet, dass der Staat jeder Familie, jeder Frau die Möglichkeit anzubieten hat, sich für oder gegen eine Betreuung der Kinder in der Kita zu entscheiden.
Meistens heißt es dann, man sei „unmodern“, „nicht fortschrittlich“ oder gar „spießig“. Gleichwohl hält man durch, jedenfalls dann, wenn der eigene Konservatismus oder Liberalismus fest verankert ist und man es daher nicht mag, sich vorgeblich „fortschrittliche“ Gesellschaftsideen vorschreiben zu lassen. Und deshalb ist genau diese Anmaßung, ein pseudo-progressive Weltbild gesetzlich zu verankern - man denke etwa an die neuerdings „geschlechtsneutrale“ Sprache in der Straßenverkehrsordnung - etwas, das sowohl Konservative als auch Liberale äußerst kritisch sehen.
Eine weitere Dimension der Thematik eröffnete die völlig überzogene Sexismus-Debatte, die Anne Wizorek unter dem Twitter-Hashtag #Aufschrei vor ziemlich genau einem Jahr initiierte. Welche Verhaltensweisen nun plötzlich alle sexistisch sein sollten, irritierte. Zumindest dann, wenn man kein Anhänger des Feminismus à la Schwarzer und Mika ist. Wie sehr dieser feministische Tugendfuror auf Befremden stieß, zeigte sich etwa daran, dass Birgit Kelles Gegenstatement „Dann mach doch die Bluse zu“ auf dem Debattenportal „The European“ eine außerordentliche Resonanz bekam und laut „W&V“ zum „Social Media-Phänomen“ des Jahres 2013 avancierte.
Überall wittern manche Konservative "Zensur" und "Tugendwächterei"
Insofern sprach und spricht sehr viel dagegen, sich "politisch korrekten" Forderungen unkritisch zu unterwerfen. Eine derartige Tugendwächterei und Vorschreiberitis ist nicht mit einer liberal-konservativen Geisteshaltung vereinbar. Und ganz offenbar empfanden das auch andere Milieus so. Denn das Image der „Verbotspartei“ kostete die Grünen bei der letzten Bundestagswahl viele Stimmen im linksliberalen akademischen Milieu. Mag Ines Pohl von der "taz" für dieses Bild der Partei noch so sehr „die Springer-Presse“ und die "FAZ" und "FAS" verantwortlich machen, die angeblich die Forderung der Grünen nach einem „Veggie-Day“ aufgebauscht und sie so als „spaßbefreite Moralapostelpartei“ dargestellt hätten.
Inzwischen hat die Kritik an der politischen Korrektheit allerdings einen Drall entwickelt, der bedenklich ist. Mehr und mehr nämlich ist das „politisch Inkorrekte“ zu einer Art Kampfbegriff, einer Parole national- oder christlich-konservativer Kreise mutiert.
Bestens zu beobachten ist dieses Phänomen in Diskussionsforen oder sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Überall wittern manche Konservative „Zensur“ und „Tugendwächterei“, sobald man ihnen kritisch entgegentritt. Wenn man etwa in der "Rumänen und Bulgaren"-Debatte Stammtischparolen kritisiert, die so tun, als würde das Land demnächst von einem Riesenansturm von „Einwanderern in die Sozialsysteme“ überrollt, wird man der "politischen Korrektheit" bezichtigt. Schnell kommt dann auch der Spruch: "Das wird man doch noch sagen dürfen."
Zahlen zu eben dieser sogenannten "Armutszuwanderung", die der oder die "politisch Korrekte" postet, werden konsequent ignoriert. Man ereifert sich stattdessen über das "Duisburg-Haus" und sonstige Einzelerscheinungen, die das eigene Vorurteil bestätigen. Wer die Stammtischparolen zurückweist und repräsentative Daten anführt, wird gefragt, ob er die Seiten gewechselt habe, gar „links“ geworden sei. Und natürlich bestehen Verfechter dieser Sichtweise oftmals darauf, "Zigeuner“ statt Sinti und Roma zu sagen, sprechen von „Zensur“, wenn genau das moniert wird.
Kritiker der "politischen Korrektheit" stilisieren sich selbst zu Opfern
Zu Recht beanstandete Claudius Seidl bereits vor einem Jahr in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" diese Haltung und betonte, worum es eigentlich geht: nämlich darum, „dass wir die Rechte (und die Pflichten) der Minderheit so ernst wie die der Mehrheit nehmen“ und „dass wir nicht Zigeuner sagen, wenn sich der Roma davon gekränkt fühlt.“ Seidl kritisierte die „Widerstandskämpfer der Semantik“, die sich notorisch „gegängelt“ fühlen, „von einer mächtigen Sprachpolizei und einer Ideologie, welche sie als "political correctness" bezeichnen. Leider hat dieses Phänomen in den letzten Monaten enorm zugenommen.
So berechtigt Kritik an überdrehter „politischer Korrektheit“ ist: Die „Widerstandskämpfer der Semantik“ übertreiben ihrerseits maßlos, wenn sie sich über einen vermeintlichen „Gesinnungsterror“ oder „Sprach-TÜV“ echauffieren. Sie stilisieren sich zu Opfern und tun so, als würde ihre Meinung unterdrückt. Oder sehen sich, nur weil der ehemalige Nationalspieler Hitzlsperger sich outet und dafür viel Respekt erfährt, einer „Homo-Lobby“ ausgesetzt, die eine „homosexuelle Leitkultur“ etablieren wolle.
Man muss als Konservativer nicht für eine völlig gleichgestellte Homosexuellen-Ehe sein oder das Adoptionsrecht für Homosexuelle befürworten. Hitzlsperger aber den Mut für sein „Coming-Out“ abzusprechen, wie oft in diesen Kreisen zu lesen, zeugt von einer bemerkenswerten Indifferenz gegenüber den Schwierigkeiten eines Menschen, der offensichtlich jahrelang mit seiner Homosexualität gerungen hat. Wie viele andere auch.
Die Selbststilisierung der Kritiker der politischen Korrektheit zum Opfer mutet überdies kurios an, weil genau sie es sind, die sonst die Viktimisierung von Minderheiten durch „politisch Korrekte“ beanstanden. Nun aber betont man zunehmend den eigenen Opferstatus. So beklagte sich Gerhard Beestermöller kürzlich an dieser Stelle über eine „inquisitorischen Jagd auf jeden, der sich auch nur traut, die Frage aufzuwerfen, ob Homosexualität gegenüber der gegengeschlechtlichen Sexualität vielleicht defizitär ist“. Und behauptete, dass „eine offene Diskussion, über die Gleichwertigkeit von Homo- und Heterosexualität“ „kaum noch möglich sei“.
Auch Merkel wurde nicht zum Feindbild Homosexueller
Bereits die Tatsache, dass der Autor diese Zeilen in einem der am meisten gelesenen deutschen Online-Portale veröffentlichen konnte, sollte ihn eines Besseren belehren. Kein Zensor ist eingeschritten, völlig frei konnte er seine Sichtweise verbreiten. Und die Debatte über die Gleichstellung homo- und heterosexueller Partnerschaften ist in vollem Gange, die Zeitungen sind voll davon und bilden das gesamte Meinungsspektrum ab.
Auch Angela Merkel wurde keineswegs Opfer eines „Shitstorms“ oder einer „inquisitorischen Jagd“, nachdem sie sich kurz vor der Bundestagswahl in der ARD-Sendung „Wahlnacht“ mit unsicherer Stimme wie folgt zum Adoptionsrecht homosexueller Paare äußerte: „Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwer tue mit der kompletten Gleichstellung (...) Ich bin unsicher, was das Kindeswohl anbelangt.“ Zwar gab es danach die zu erwartende Empörung bei Homosexuellen, bei der SPD und bei der FDP. Inzwischen jedoch hat sich die Aufregung längst gelegt, ist Angela Merkel keineswegs zum Feindbild Homosexueller geworden.
Artikel 5 unseres bundesrepublikanischen Grundgesetzes gewährleistet eine sehr große, sehr weit gefasste Meinungsfreiheit. Wer sich einer politisch korrekten „Sprachpolizei“ ausgesetzt sieht, sollte kurz innehalten. Ist es wirklich so schlimm? Doch wohl eher nicht. Zur Selbst-Viktimisierung besteht kein Anlass. Stattdessen gilt es, die Balance zu finden und Maß zu halten, wenn man liberal oder konservativ ist und die „politische Korrektheit“ kritisiert.
Liane Bednarz arbeitet als Rechtsanwältin im Bereich "Mergers & Acquisitions" in München. Sie war Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung und schreibt gelegentlich für das Feuilleton der katholischen "Tagespost". Ihr dort am 17. Oktober 2013 erschienener Essay zur klassischen Literatur ist vom Medienportal "Der Umblätterer" als einer der zehn besten Feuilleton-Artikel des Jahres 2013 mit dem "Goldenen Maulwurf 2013" ausgezeichnet worden.
Liane Bednarz
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