Europas Krisenpolitik: Merkels Politik nutzt nur dem Kapital
Thomas Pikettys Buch trifft offensichtlich einen Nerv. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Doch die Politik macht alles nur noch schlimmer. Angela Merkels Krisenpolitik nutzt dem Kapital - und die Rettung des Euro bezahlen am Ende die Armen.
Karl Marx hat es geschrieben, John Maynard Keynes hat davor gewarnt und die einfachen Leute haben es ohnehin schon immer gewusst: Im unregulierten Kapitalismus wachsen die Vermögen jener, die das Kapital besitzen, weit schneller als bei jenen, deren Arbeit die Kapitalerträge erzeugt. Der Teufel macht eben immer nur auf den großen Haufen. Insofern ist die Erkenntnis, die der französische Ökonom Thomas Piketty in seinem Weltbestseller über „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ausbreitet, nicht originell.
Pikettys Buch verkauft sich massenhaft
Neu an seinem Werk ist lediglich die ausgefeilte Methodik. Anhand der Steuerdaten aus drei Jahrhunderten weist der neue Star am Ökonomenhimmel nach, dass der Trend zur Konzentration der Vermögen in den Händen einer kleinen Elite systembedingt ist und nur zeitweise durch Krieg oder harte staatliche Eingriffe umgekehrt wurde. Und hätte Piketty sein Buch schon vor zehn Jahren veröffentlicht, dann wäre das vermutlich außerhalb seiner Zunft nicht weiter aufgefallen.
Doch im Jahr sechs nach Lehman, da noch immer viele Millionen Arbeitslose und die überschuldeten Staaten mit den Folgen des großen Crashs kämpfen, trifft das Werk offensichtlich einen Nerv. Das anspruchsvolle Buch verkauft sich massenhaft und plötzlich entzündet die Wiederkehr der längst überwunden geglaubten Klassengesellschaft eine weltweite Debatte. Daran wird auch der Vorwurf von Kritikern, Piketty habe Daten verfälscht, nichts mehr ändern. Selbst die Gralshüter des Marktglaubens, die Ökonomen der OECD und des Internationalen Währungsfonds, die bisher stets gegen staatliche Eingriffe in das freie Spiel der (Kapital-)Kräfte fochten, veröffentlichten nun Studien, die der Umverteilung durch Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen das Wort reden.
Bahnt sich nun also nach Jahrzehnten der Unterwerfung der Politik unter die Ansprüche des flüchtigen Kapitals die große Wende an? Schön wär’s. Doch die politische Praxis in Europa folgt einem ganz anderen Muster. Denn hier erzwingen die deutsche Kanzlerin und ihre Verbündeten in der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Rat der Finanzminister per Gesetz und mit den Knebelverträgen für die Notkredite an die überschuldeten Staaten eine Politik, die im großen Stil die Ungleichverteilung verschärft. So setzte die EU-Kommission im Auftrag der Euro-Gruppe in allen Krisenländern massive Lohnsenkungen durch. Gleichzeitig weigern sich die EU-Finanzminister aber hartnäckig, für eine halbwegs gerechte Besteuerung von Kapitalerträgen zu sorgen.
Selbst in den Krisenstaaten gibt es Steuerdumping
Selbst die Krisenstaaten Zypern und Irland dürfen weiterhin Konzerne und Geldwäscher mit großzügigen Steuernachlässen bedienen. In Griechenland ging die soziale Spaltung im Namen der Euro-Rettung so weit, dass die Kürzung des Mindestlohns um 25 Prozent per Notstandsdekret erzwungen wurde, als im Parlament die Mehrheit fehlte, weil sogar die Unternehmer sich dagegen ausgesprochen hatten. Die auf mehr als 200 Milliarden Euro geschätzten Vermögen der griechischen Elite bei Banken und Fonds im Ausland blieben dagegen unangetastet. Nun drängen die Merkel-Regierung und die Kommission auch in Frankreich und Italien auf „Strukturreformen“, deren wesentliches Ziel es ist, die Löhne zu drücken.
All das beruht auf der Annahme, die Senkung der Lohnkosten würde die Unternehmen der betroffenen Länder befähigen, mehr zu exportieren und sie zu neuer Blüte führen. Tatsächlich geschieht das Gegenteil. Die Wirtschaft schrumpft oder stagniert, weil die interne Nachfrage fehlt. Und diese wird keineswegs durch größere externe Nachfrage ersetzt, weil alle EU-Staaten ja die gleiche Strategie verfolgen (müssen) und so ein regelrechter Lohnsenkungswettbewerb erzeugt wird.
In der Folge beginnen in einem Land nach dem anderen die Preise zu fallen, was endgültig jede Investition erstickt. Bizarrerweise wollen EZB-Chef Mario Draghi und seine Direktoren nun mit Notstandsmaßnahmen wie einem Strafzins auf Zentralbankeinlagen genau die Deflation bekämpfen, die sie selbst durch ihre Politik herbeigeführt haben. Aber das wird nicht reichen. Nötig wären vielmehr das Ende der Lohnsenkungspolitik und eine Entschuldung der Krisenländer, damit deren Regierungen wieder handlungsfähig werden. Ginge es nach Piketty, dann wäre eine EU-weit erhobene Abgabe auf große Vermögen dafür das Mittel der Wahl. Im deutschen Kanzleramt sind seine Ideen allerdings noch nicht angekommen.