Europa und die Angst vor der sinkenden Preisen: Mini-Inflation erhöht Druck auf Draghi
Die Teuerung ium Euro-Raum fällt im März so gering aus wie seit 2009 nicht mehr – jetzt fürchtet sich Europa vor einer Deflation
Berlin - Deflation kann recht lecker schmecken. Wenn der Alaska-Seelachs auf einen Schlag um elf Prozent billiger wird, die Mayonnaise um zehn Prozent oder der Fruchtsaft um fast sieben. Nicht nur vorübergehend – das verspricht zumindest die Werbung des Discounters mit dem rot-gelben Logo. „Immer wenn wir die Möglichkeit sehen, Preise dauerhaft für Sie zu senken, tun wir dies! Das haben wir Ihnen versprochen!“, tönt die Handelskette im Internet. Der Konzern mit dem weiß-blauen Logo will da nicht nachstehen und setzt ebenfalls den Rotstift an – wohl nicht zum letzten Mal.
Deflation ist womöglich etwas, an das sich Verbraucher gewöhnen müssen. Sollten die Preise in Europa auf breiter Front fallen, dürften sich die Folgen allerdings wenig angenehm gestalten. Derzeit ist die Teuerung nur noch minimal: Um 0,5 Prozent stiegen im März die Preise im Schnitt der 18 Euro-Länder, verglichen mit dem Vorjahresmonat. Das erklärte das Statistikamt Eurostat am Montag auf der Basis einer Schätzung. Die Inflation ist damit so niedrig wie zuletzt im November 2009.
In Deutschland kletterten die Preise noch um 1,0 Prozent. In Italien gab es mit 0,3 Prozent nur noch ein minimales Plus, und in Spanien fielen sie im März um 0,2 Prozent. Griechenland, Zypern und Portugal kennen dieses Phänomen schon länger. Eigentlich strebt die Europäische Zentralbank (EZB) an, dass die Preise um knapp unter zwei Prozent steigen – seit rund einem Jahr liegt die Inflationsrate aber deutlich unter diesem Wert.
Damit steigt der Druck auf die EZB, auf ihrer Ratssitzung am Donnerstag die Zinsen weiter niedrig zu halten oder noch weiter zu senken. Denn Deflation kann eine Abwärtsspirale in Gang setzen: In der Hoffnung auf weiter sinkende Preise könnten Unternehmen und Verbraucher größere Anschaffungen immer weiter aufschieben – wie über Jahre in Japan geschehen. Die Notenbank hätte dann kaum noch Möglichkeiten, die Nachfrage zu stimulieren. Denn der Zins, zu dem sich Banken Geld bei der EZB leihen können, liegt bereits bei 0,25 Prozent. „Eine weitere Senkung wäre nicht vernünftig“, sagte Lars Feld, Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen, dem Tagesspiegel. Die EZB solle eher überlegen, ob sie nicht an anderer Stelle die Geldpolitik lockern könne.
Allerdings sind die Ökonomen in dieser Frage gespalten – wieder einmal. EZB-Präsident Mario Draghi und Bundesbank- Chef Jens Weidmann halten nichts von Aktionismus in Sachen Geldpolitik. Kurt Demmer, Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank, sieht es ähnlich. „Wenn singulär Preise rutschen, ist das noch keine Deflation. Fernseher oder Smartphones werden ja seit Jahren nur billiger“, sagte er dem Tagesspiegel. „Rechnet man die Energie heraus, ist die Lage genauso wie im vergangenen Jahr.“ Tatsächlich verbilligte sich vor allem Treibstoff im Euro-Raum um mehr als zwei Prozent. Lebensmittel und Dienstleistungen aber nicht. Und in den Krisenländern seien Preissenkungen sogar erwünscht, findet Demmer. „Wechselkurse, die bei den Reformen helfen könnten, gibt es nicht mehr – also müssen diese Länder billiger werden.“ Ohnehin, glauben Ökonomen wie Demmer, werde ein Aufschwung bald schon zu stärkerer Teuerung führen.
Und wenn daraus nichts wird? Dann müsste die EZB in die Trickkiste greifen. Fachleute wie Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, raten zum Kauf von Anleihen im großen Stil, um mehr Geld ins System zu pumpen. Alternativ könnten die Währungshüter negative Zinsen einführen, also Banken dafür bestrafen, dass sie Geld horten, statt es zu verleihen. Möglich wäre auch, dass die EZB den Instituten Geld gibt, auch wenn sie nur mäßig wertvolle Sicherheiten bieten können. Sicher ist aber: Die Preisschlacht bei den Lebensmittel-Discountern geht weiter – denn der Einfluss der Notenbank hat Grenzen.