Ukraine-Konflikt: Merkel reist nach Kiew, Putin provoziert
Unmittelbar vor dem Besuch von Angela Merkel in Kiew schickt Russland seinen umstrittenen Lkw-Konvoi in die Ukraine - und bekennt sich unverblümt zur Grenzverletzung. Damit provoziert Moskau eine Eskalation, die im offenen Krieg beider Länder enden kann. Ein Kommentar.
Unter der Farbe der Unschuld hat Russland eine neue Stufe der Provokation gegen die Ukraine gestartet. Die knapp 300 weißen Lastwagen, die seit Tagen vor der ukrainischen Ostgrenze warteten, rollten am Freitag gegen den erklärten Willen der Regierung in Kiew über ukrainische Straßen in Richtung Lugansk. Die Moskauer Diplomatie übernahm dafür ganz offiziell die Verantwortung und erklärte das Eindringen im Nachbarland zu einem Akt humanitärer Notwehr im Interesse der leidenden Bewohner der umkämpften Separatistengebiete.
Genial und heimtückisch war die Idee, diesen Hilfskonvoi auf den Weg zu bringen: Vor der internationalen Öffentlichkeit wirkte die Bildsprache der friedlich dahinrollenden weißen Lastwagen, die sich langsam auf den Kern des Konflikts zubewegten, unmittelbarer und stärker als alle anfänglichen Zweifel Kiews. Ob hinter den weißen Planen statt Wasser und Nahrung nicht doch Panzerfäuste oder gar frische russische Kämpfer transportiert wurden, das war ein naheliegender Gedanke, aber zu diesem Gedanken gab es kein Bild.
Wenn Kiew stillhält, zeigt es sich hilflos auf eigenem Territorium
Moskau kümmert sich, Kiew kümmert sich nicht, lautete die Botschaft, die von Nachrichten über das rücksichtslose Vorgehen ukrainischer Kämpfer gegen Zivilisten flankiert wurde. Der Druck war so groß, dass Kiew sich sogar gezwungen sah, einen eigenen Hilfskonvoi in die Kampfzone zu schicken.
Eine Verantwortung für die Aktionen der prorussischen Separatisten hatte Moskau immer bestritten. Doch ausgerechnet einen Tag vor dem ohnehin schon heiklen Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Kiew bekannte sich die russische Regierung unverblümt zur Grenzverletzung. Damit provoziert sie eine Eskalation, die im offenen Krieg beider Länder enden kann: Zwar hat sich der Verdacht nicht erhärtet, dass in Wirklichkeit Nachschub für die Separatisten transportiert wird. Doch wenn Kiew stillhält, zeigt es sich hilflos auf eigenem Territorium. Wenn sein Militär den Konvoi aber gewaltsam stoppt, liefert dies Moskau jeden Vorwand, die vermeintlich humanitäre Mission zu verteidigen.
Was plant Putin in der Ukraine?
Die Frage ist noch immer offen, ob Wladimir Putin einen solchen Vorwand sucht. Ebenso offen ist die Frage, ob er mit all seiner nationalistischen Propaganda und den Hilfsversprechen für die Landsleute im Nachbarland so hohe Erwartungen erzeugt hat, dass er im Falle weiterer Zuspitzung der eigenen Bevölkerung Stärke beweisen muss. Zwar sprach der deutsche Außenminister nach dem Treffen mit seinen Kollegen aus Moskau, Kiew und Paris am vergangenen Wochenende in Berlin von einer Bewegung auf beiden Seiten. Doch noch immer ist das russische Handeln auch den geduldigsten westlichen Partnern nicht nachvollziehbar.
Es bleibt die Möglichkeit, dass es Putins Regierung mit dem jüngsten Schritt darum geht, die Bewohner im Osten der Ukraine noch stärker an Russland zu binden und damit die eigene Position für kommende Verhandlungen zu stärken. Auch scheint Kiew das Angebot zur Eskalation diesmal auszuschlagen: Es werde kein gewaltsames Eingreifen geben, verkündete der Geheimdienstchef. Wenn die Lage sehr ernst ist, wecken auch kleine Nachrichten große Hoffnungen.