1933 – 2013: Mehr Gehör für die letzten Holocaust-Zeugen
In diesem Jahr reihen sich die Jubiläen, die dunkle Schatten auf die deutsche Geschichte werfen. Doch dabei kommen die letzten bewussten Zeugen jener Zeit kaum zu Wort. Die Zeit drängt, das zu ändern.
Es ist ein Jahr der Jubiläen, die noch immer ihren Schatten auf die deutsche Geschichte werfen. Und auf die Gegenwart, auf die Präsenz der Erinnerung. Gerade ist es 80 Jahre her, dass Adolf Hitler in Berlin die Kanzlerschaft übernahm und sofort mit ungeheuer schnellem, brutalem Geschick die Macht ergriff. Demnächst wird auch an den Reichstagsbrand und das anschließend die fatale totale NS-Herrschaft befestigende Ermächtigungsgesetz im Jahr 1933 erinnert werden. Das schlägt dann noch den Bogen zu den Daten im Herbst: vor 75 Jahren die Reichspogromnacht, vor 90 Jahren der so genannte Hitler-Putsch in München.
Vielerlei Gedenken also. „Zerstörte Vielfalt“ heißt das Motto, unter dem nun in Berlin diverse Ausstellungen an 120 Orten versuchen, das Angerichtete darzustellen bis in den Alltag jenes vor 80 Jahren begonnenen Bruchs mit Demokratie, Zivilisation, Kultur. Mit Menschlichkeit und Menschenwürde. Das alles ist so gut wie gut gemeint. Aber die Breite des Angebots, die Fülle des offiziellen Gedenkens sagt noch wenig über die Tiefe: des Nachdenkens, der Nachwirkung auch im gegenwärtigen Alltag, in den Köpfen (und Herzen) der jetzt dritten und vierten Generation nach 1945.
Es gab in dieser eben vergangenen Woche freilich eine Sternstunde. Das war im Bundestag die Rede von Inge Deutschkron, der heute 90-jährigen Publizistin und Überlebenden der Shoah. Eine Bezeugung: der dem jungen Mädchen einst mitten in Berlin zugefügten Demütigungen und Todesängste, der Feigheit vieler Deutschen, der mutigen Humanität weniger, der erzwungenen Anpassung, der Scham, sogar der Scham der Opfer im Glück ihrer Rettung.
Es ist eine Schande des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, diese Rede und die Gedenkstunde im Bundestag, ausgerechnet in diesem Jahr, in keinem der beiden Hauptprogramme übertragen zu haben. Bald wird es bei solchen Anlässen gar keine Zeitzeugen mehr geben. Nur noch Dokumente, keine lebenden Menschen. Das Zeugnis einer Inge Deutschkron aber erzählt und bewegt wohl mehr als jede nur stumm beredte Ausstellung. Mehr als fast jeder Ort, an dem es allein die Gräber in den Lüften oder in der Erde versteinerte Reste des Schreckens gibt.
Es bleibt weiter viel zu tun. Von der Abwehr gegenüber neonazistischen Gruppierungen oder der zeitgeschichtlichen Bildung in den Schulen, von der Restitution geraubter Kunstwerke bis zur schnelleren, großherzigeren Unterstützung der noch vielen tausend bisher durchs Raster der staatlichen Entschädigungszahlungen gefallenen, gebrechlich gewordenen Opfer des NS-Terrors. Und auch das hat Eile: zu versuchen, den letzten bewussten Zeugen jener Zeit für die Zukunft noch Gesicht und Stimme zu geben – gleich ob Opfer, Täter oder unbeteiligt beteiligte Beobachter wie die damals Heranwachsenden. Ein Vorbild hierfür wäre die von Steven Spielberg gegründeten Shoah Foundation, die Aussagen von mehr als 50 000 jüdischen Überlebenden des NS-Genozids auf Video dokumentiert und so ein sprechendes Mahnmal für die Menschheit geschaffen hat.
Es wäre ein Projekt für Deutschland – und das deutsche Fernsehen. Ein bisschen anders gewiss als jenes „Histotainment“, das uns der am heutigen Sonntagabend im ZDF verabschiedete Guido Knopp so lange bescherte. Doch alle Anstrengung wert.
Peter von Becker
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