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Die East Side Gallery bekommt wieder eine Lücke – nur vorübergehend, wie alle Beteiligten und angeblich Unbeteiligten plötzlich in seltener Einigkeit versichern.
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East Side Gallery: Loch statt Lösung

An der East Side Gallery zeigt sich die ganze organisierte Berliner Murksigkeit. Am wenigsten kann dafür der Investor.

Als im Osten die Sonne aufgeht, geht in Berlin der Osten unter. Im Grauen eines ganz normalen Mittwochmorgens wird wieder an den Mauerstücken herumgehämmert, die diese Stadt, die jahrzehntelang zwei sein sollte, sich selbst noch als Erinnerung übrig gelassen hat: als Touristenattraktion, als Selbstbespaßungstreffpunkt, irgendwie auch als Symbol einer betonbornierten Teilung, mitten durch das pochende Herz einer Metropole. Die East Side Gallery bekommt wieder eine Lücke – nur vorübergehend, wie alle Beteiligten und angeblich Unbeteiligten plötzlich in seltener Einigkeit versichern. Aber wer mag das schon glauben, da in Berlin Provisorien andauernd von langer Dauer sind? Wer glaubt bei diesem kleinen Mauerfall mit großer weltpolitischer Wirkung überhaupt daran, dass noch eine Lösung gefunden wird, die der Stadt mit ihren Geschichtshaufen auf den Schultern und ihrer Geschichtsvergessenheit im Bewusstsein noch gut zu Gesicht stehen würde? Es ist nicht zu glauben.

Berliner Murks wird nicht mehr nur an jenen Bauwerken sichtbar, die irgendwann einmal fertig werden sollen und irgendwie nicht fertig werden. Auch beim Abreißen kriegt die Hauptstadt nichts gerissen. Daran soll nun bitteschön einzig und allein ein Investor schuld sein. Dabei hat der eine Baugenehmigung vorzuweisen und auf diesem rechtlich sicheren Fundament bereits künftige Wohnungen verkauft. Es ist eben ein nicht ganz falsches, aber doch allzu eingängiges Bild: Auf der einen Seite der Mauer baut ein unsensibler Geschäftsmann nach eigenem Gusto und degradiert mit seinem Luxuswohnturm die Partymauer zur steinernen Hinterhofhecke; auf der anderen Seite beklagen bunt gemischte Demonstranten im Chor mit dem ehemaligen Rettungsschwimmerschauspieler David Hasselhoff, dass die Stadt ihr größtes Kapital schleift – die eigene Geschichte.

Zwei aktuell wieder aufkommende Urängste Berlins kulminieren am Grenzübergang Friedrichshain-Kreuzberg, die Gentrifizierung des Wohnungsmarkts und der stetig schnellere Wandel, der selbst das Geschichtsgedenken verformt. Am wenigsten schuld an diesen Phänomenen ist der Investor Maik Uwe Hinkel, der nun offenbar die Lage absichtsvoll und rücksichtslos eskalieren lässt. Den Wandel im Bewusstsein für den immer engeren Wohnungsmarkt und die immer trashigere Präsentation von Geschichte im Stadtbild hat allerdings die Berliner Politik verpennt.

An der East Side Gallery zeigt sich die ganze organisierte Berliner Murksigkeit. Der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz hat einst das Baurecht für die Projekte an der East Side Gallery geschaffen und demonstriert nun mit starken Worten dagegen. Sieht so grüne Regierungsfähigkeit aus? Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, einst bundespolitischer SPD-Hoffnungsträger, schert sich erst jahrelang nicht um einen der größten Anziehungspunkte seiner Stadt, zieht nach den überraschend starken Protesten das Verfahren plötzlich an sich, um dann doch auf die Zuständigkeit des Bezirks zu verweisen. Sieht so großstädtische Prioritätensetzung aus? Und der stellvertretende Bürgermeister Frank Henkel, einst landespolitischer CDU-Hoffnungsträger, bekommt irgendwie nicht richtig mit, dass sich 250 Polizisten seiner Innenbehörde im Morgengrauen an einem der umstrittensten Punkte der Stadt versammeln. Sieht so politische Sensibilität aus?

Im Westen geht die Sonne unter – und mit ihr die Hoffnung, dass Berlin sich nicht immer wieder selbst einmauert.

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