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Frankfurter Buchmesse: Literatur, neu definiert

Wie jedes Jahr zur Eröffnung der Buchmesse seit es Amazon gibt, wird über die Krise des Buchhandels gejammert. Dennoch erscheint viel Geistreiches - analog ebenso wie digital.

Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln, der Bahn oder dem Flugzeug unterwegs ist, dem fällt unweigerlich auf, wie sehr die Menschen mit ihren elektronischen Geräten beschäftigt sind. Mit den vielseitig verwendbaren Smartphones sowieso, aber zunehmend auch mit elektronischen Lesegeräten. Raschelnde, großformatige Zeitungen, gedruckte, dickleibige, vom ständigen Gebrauch leicht zerfledderte Bücher? Sieht man auf Reisen immer weniger. Der Lesealltag gestaltet sich unaufhaltsam digital. Die Buchbranche, die sich von heute an wieder fünf Tage auf der 65. Frankfurter Buchmesse versammelt, steht vor dramatischen Veränderungen. Das Problem ist nur: Verlässliche Prognosen gibt es kaum. Buchhandel und Verlage müssen ihre Rollen neu definieren, vieles läuft dabei nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“.

Von einem „herausfordernden Wandel mit weitreichenden Perspektiven“ hat der Börsenvereins–Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis angesichts der Lage auf dem Buchmarkt gesprochen. Diese Lage stellt sich aktuell nicht übermäßig rosig dar, stecken doch große Teile des stationären Buchhandels in einer Krise, nicht zuletzt große Ketten wie Thalia oder Weltbild. Der Gesamtumsatz der Branche war wie schon 2011 im vergangenen Jahr wieder leicht rückläufig; dagegen wächst der E-Book-Markt erstmals schneller als erwartet. Mit fast zehn Prozent ist er inzwischen am Gesamtumsatz beteiligt. Auch der Online-Buchhandel steigerte seine Erlöse um zehn Prozent.

Trotz des wirtschaftlichen Drucks erscheinen geistvolle Bücher

Es sind dies bloß Zahlen. Und sie zeugen nur von anteiligem Wachstum, eben im digitalen Bereich. Doch sie schaffen Unruhe. Amazon als Online-Buchhändler und neuerdings auch Verlag treibt den stationären Buchhandel vor sich her – ebenso die traditionellen Buchverlage. Diese verkaufen jetzt schon ihre E-Books günstiger als ihre gedruckten Erzeugnisse, die Preise fallen weiter. Amazon, aber auch andere Online-Shops befördern diese Entwicklung mit ganzer Macht.

So hat Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, in seiner Rede zur Eröffnung der Buchmesse am Dienstagnachmittag mit Recht auf die bei den kommenden Freihandelsverhandlungen der EU-Komission mit den USA bedrohte Buchpreisbindung hingewiesen. Und dabei vor der „ganz und gar manipulierbaren Macht des Geldes über den Geist“ gewarnt. Das Gute ist nur, dass der Geist sich nicht so leicht vom Geld dominieren lässt. Das muss dann nicht gleich so weit gehen wie bei der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz, für die in den vergangenen Jahren Geld überhaupt keine Rolle zu spielen schien. Ihr Verlag veröffentlicht nach wie vor viele geistvolle, aber wenig ertragreiche Bücher.

Vom Werkstolz zum Netzwerkstolz

Und niemand wird ernsthaft bestreiten, dass der Geist auch durch die digitale Welt weht. Denn wenn die Diskussion um Umsätze, Marketing, neue Absatzmärkte und veränderte Vertriebswege einmal aussetzt, beginnt schon ein ganz anderes Gespräch. Dann ist zum Beispiel die Rede vom „social reading“, davon, dass Bücher zu Räumen für viele werden. Dass sich Kreativität neu definiert, Literatur zu einer immer wieder veränderbaren Software wird. Dass es einen Wandel „vom Werkstolz zum Netzwerkstolz“ gibt, wie es der Kunsthistoriker Wolfgang Ulrich ausgedrückt hat. Man muss das nicht alles gut und überzeugend finden – eine spannende Herausforderung ist es allemal, analoge und digitale Welt in eine fruchtbare Beziehung zu setzen.

Gerrit Bartels

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