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Jeder zehnte Jugendliche ist Smartphone-süchtig.
© dpa

Mal runterfahren - oder wie ich lernte, das Smartphone zu nutzen: Kopf hoch!

Facebook checken, WhatsApp schreiben, E-Mail abfragen: Wir sind im digitalen Dauerstress. Jeder zehnte junge Smartphone-Nutzer ist suchtgefährdet. Doch es gibt auch einen richtigen Umgang damit.

Vor ein paar Tagen ist Angela Merkel auf den Umgang der Menschen mit Smartphones eingegangen. Die Hälfte der Deutschen würden in der ersten halben Stunde nach dem Aufwachen auf das Smartphone schauen. „Ob das gesund ist, weiß ich nicht“, sagte sie. Viele seien in der Nacht noch durch aufleuchtende Nachrichten wach geworden. „Denken Sie an ihre Gesundheit!“

Das ist beileibe kein Gag für Olli Welkes „heute-show“: Mit Mutti Merkel zurück ins 19. Jahrhundert, ins Zeitalter der Postkutsche und so. Nein, die Kanzlerin hat ja recht. Fragen Sie mal Ihr Kind zu Hause, ob es sein neues Geschenk, sein schickes iPhone 6 noch jemals aus der Hand zu legen gedenkt. Wahrscheinlich verfluchen Sie schon den Tag, an dem sie es ausgesucht haben, sich dazu haben breitschlagen lassen.

Aber was regen wir Eltern uns auf? Es betrifft ja nicht nur Kinder. Ein Blick in den öffentlichen Raum genügt: Die um sich greifende Handynutzung der sogenannten Smartphone-Zombies, der „Smombies“, die beim Gehen, Kopf nach unten, ständig auf das Ding in ihrer Hand gucken. Mütter mit Kinderwagen, in der einen Hand den Wagen, in der anderen das Smartphone.

In Köln und Augsburg sollen Lichter im Boden Smartphone-Nutzer vor Straßenbahnen warnen. Die LED-Leisten schalten sich ein, wenn eine Bahn naht, und strahlen ihr Licht im 60-Grad-Winkel ab, sodass selbst ein schwer beschäftigter Smartphone-Nutzer sie bemerken sollte. In der Stockholmer Altstadt soll es ein Schild geben, das Passanten zu erhöhter Vorsicht beim Smartphone-Gebrauch anhält.

Wohin das führen mag, konnte man sich am vergangenen Sonntagabend im Berliner „Tatort“ anschauen, im Ersten. Subthema: die Sprachlosigkeit unter den Generationen. Bei drei Mädchen, die eines brutalen Mordes verdächtigt werden, besteht das Leben nur noch aus sozialen Netzwerken.

Die größte Strafe, die ihnen Eltern androhen können: Smartphone-Entzug. Es ist eine generelle Entwicklung. Immer mehr Menschen scheinen immer mehr mit sich und ihrem Smartphone beschäftigt zu sein und stumpfen für ihre unmittelbare Umwelt ab. Bei WhatsApp mal schnell schauen, wer online ist, bei Facebook gucken, ob der Freund schon für den Marathon trainiert, bei Twitter #böhmermann suchen, ob’s da was Neues gibt.

Kopf runter.

Nun ist nicht jedem, der öfters bei Facebook, Twitter & Co unterwegs ist, Empathie- und Rücksichtslosigkeit, Arroganz und Dreistigkeit zu unterstellen. Mitnichten. Für viele Menschen stellt die Teilhabe an Sozialen Netzwerken eine wichtige soziale (oder auch berufliche) Komponente im Alltag dar. Es gibt durchaus Studien, die zeigen, wie kreativ das Internet Menschen macht. Es geht um das „wie oft“, um die Frage, ob wir das überhaupt noch kontrollieren können, was wir da händisch ständig tun, ganz zu schweigen von den Unmengen an persönlichen Daten, die wir durch allzu leichtsinnige Internet-Nutzung im öffentlichen Raum aus der Hand zu geben drohen.

Zu den Zahlen. Und zu den Kindern. Die große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland nutzt bereits ein Smartphone. Unter den zwölf- bis 13-Jährigen haben 85 Prozent ein Computerhandy, ergab eine Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom aus 2015. Bei den jüngeren Jugendlichen zwischen zehn und elf Jahren nutzen gut die Hälfte ein Smartphone. Mannheimer Forscher haben herausgefunden, dass fast jeder zehnte junge Smartphone-Besitzer suchtgefährdet ist.

Viele Kinder und Jugendliche räumen gegenüber den Forschern durchaus selbstkritisch einen fragwürdigen Umgang mit den mobilen Computern ein. Fast die Hälfte gibt zu, durch das Handy abgelenkt zu werden, etwa von den Hausaufgaben, oder unüberlegt persönliche Daten preiszugeben. Jeder Vierte fühlt sich durch die permanente Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp gestresst. Jeder Fünfte gibt schulische Probleme durch seine starke Handy-Nutzung zu.

Tagesspiegel-Redakteur Markus Ehrenberg.
Tagesspiegel-Redakteur Markus Ehrenberg.
© Mike Wolff

Davon ausgehend, dass viele junge Befragte dazu neigen könnten, die Schattenseiten des geliebten Smartphones herunterzuspielen, seien die Zahlen Mindestgrößen. Eine Dunkelziffer nach oben hin könne nicht ausgeschlossen werden, sagt Karin Knop, Kommunikationswissenschaftlerin von der Uni Mainz. Die exzessive Nutzung der Smartphones durch Kinder und Jugendliche sei zu einem Teil durch die Angst getrieben, aus dem Kommunikationsprozess des Freundes- oder Bekanntenkreises ausgeschlossen zu werden. So entstehe ein „permanenter Kommunikationsdruck“.

Die Gesundheitswarnungen sind ja nicht neu. Professor Manfred Spitzer von der Uniklinik Ulm spricht seit Jahren über die Auswirkungen von Smartphones auf Kinder und Jugendliche. Smartphones stellen Spitzers Meinung nach eine größere Gefahr für unsere Kinder dar als beispielsweise der gefährliche Stoff Asbest. Er liegt damit im Gleichklang mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), welche die Mobilfunktechnik auf die gleiche Stufe wie das krebserregende Benzol und das fast auf der ganzen Welt verbotene Pflanzenschutzmittel DDT stellt.

Bekannt wurde Spitzer durch sein Buch „Digitale Demenz“. Deutschlands bekanntester Gehirnforscher warnt darin vor den Gefahren des digitalen Zeitvertreibs unserer Kinder. Wissenschaftliche Studien belegen, dass bei intensiver Nutzung von Computerspielen und Online-Chats unser Gehirn abbaut. Kinder und Jugendliche sind oft kaum noch lernfähig. Die Symptome: Aufmerksamkeitsstörungen und Realitätsverlust, Stress, Depressionen und zunehmende Gewaltbereitschaft.

Immer online, immer erreichbar, das macht was mit uns. Auch andere Studien zur Smartphone- Nutzung sprechen eine deutliche Sprache. Alexander Markowetz, Informatikprofessor an der Uni Bonn, hat eine App entwickelt, die analysiert, wann und wie wir aktiv sind. Anderthalb Jahre nach dem Start der App hat er Ergebnisse der rund 60 000 Nutzer, die zeigen: Ich bin nicht alleine. Wir alle sind im digitalen Dauerstress. „Das wirklich Überraschende an den Ergebnissen war nicht so sehr die Zeit der Nutzung, sondern die riesige Anzahl der Unterbrechungen“, sagt Markowetz über die Handynutzung.

Für viele ist ein Tag ohne Smartphone undenkbar. Ergebnis der Studie: Das Handy macht unglücklich, unproduktiv und abhängig. 53 mal am Tag machen wir etwas mit dem Smartphone. Oder ehrlicher: das Smartphone mit uns. Alle 18 Minuten schicken wir Whats- App-Nachrichten oder Mails, surfen, spielen oder telefonieren wir. Die These der Forscher: Wer ständig unterbrochen wird, kann nicht produktiv sein. Das Problem ist die daraus resultierende Fragmentierung des Alltags und das permanente Multitasking.

Welche dramatischen Folgen diese digitale Permanenz für unsere Gesundheit, unser Leben und unsere Gesellschaft hat und was wir dagegen tun können, diesen Fragen ist Markowetz in seinem Buch „Digitaler Burnout“ auf den Grund gegangen. Markowetz spricht von „nachlassender Schaffenskraft“, von „übermäßiger emotionaler und psychischer Anstrengung, von der Beeinträchtigung der Produktivität und des Glücks eines jeden Einzelnen, vom Gefühl, dass das alles nicht gesund sein kann“. Seine Vermutung: Dass die steigende Anzahl psychischer Erkrankungen, insbesondere der Erschöpfungsdepression, wie der Burnout medizinisch korrekter heißt, mit der Digitalisierung kausal im Zusammenhang steht.

Das ist, zugegeben, etwas weiter hergeholt und letztlich wohl auch nicht zu beweisen. Sinn ergibt Markowetz’ Rat trotzdem: eine „digitale Diät“, internetfreie Tage oder Abendstunden, Schlafzimmer ohne elektronische Geräte. Er fordert, dass Eltern ihren Kindern beibringen sollten, auch in der analogen Welt tolle Dinge zu erleben und viel Selbstbewusstsein zu tanken.

Okay, Eltern sind das eine, aber wie sieht das in Sachen Smartphone eigentlich in Schulen aus? Gibt es da Grundsätze? Smartphones sind ein ewiger Konfliktbringer in der Lehrer-Schüler-Beziehung. Dabei finden sich eindeutige Parameter. Lehrer dürfen Schülern das Smartphone wegnehmen (unklar ist die Frage, wie lange das Smartphone einbehalten werden darf). Lehrer dürfen das Smartphone von Schülern aber nicht durchsuchen. Generell bestimmen die einzelnen Schulen über ein Smartphoneverbot. Nur in Bayern gilt eine landesweite Regelung.

Wenn das mal innerhalb der Familie so klar definiert wäre! Eltern sehen sich bei der „Handy-Erziehung“ vor Schwierigkeiten gestellt: Sie leiden unter Machtlosigkeit, Kontrollverlust und Überforderung. Dabei haben die Mannheimer Forscher vier verschiedene Typen von Eltern ausgemacht: Ein Siebtel kapituliert vor den mobilen Multifunktionsapparaten und verzichtet auf erzieherische Vorgaben. Im Gegensatz zu dieser „Laissez- faire“-Gruppe stehen die „ängstlich-konservativen Reglementierer“.

Sie schränken den Umgang mit dem Smartphone ein und ignorieren die Nachteile, die ihren Kindern dadurch entstehen. Die „freundschaftlichen Liberalen“ setzen auf ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern, können deren Handy-Begeisterung nachvollziehen und machen sich wenig Sorgen. Die „kindzentrierten Aktiven“ setzen sich mit dem Handy-Konsum ihrer Kinder stark auseinander, sprechen viel darüber und bemühen sich um nachvollziehbare Vorgaben für einen altersgerechten Umgang.

Eltern, die den Verdacht haben, dass ihre Kinder betroffen und bereits abhängig vom Handy sind, finden professionelle Beratung und Unterstützung, zum Beispiel beim Arbeitskreis Medienabhängigkeit Berlin (www.fv-medienabhaengigkeit.de/berlinundbrandenburg.html). Oder auch unter der Adresse www.schau-hin.info.

Doch besser: Kopf hoch
Doch besser: Kopf hoch
© Illustration: Klaus Stuttmann

Kein Grund zum Kulturpessimismus. Einigkeit besteht bei Forschern und Pädagogen in der Haltung: Verteufeln bringt gar nichts. Gute Medien- Pädagogik/Konzepte sind gefragt. Und es gibt sie: Medienkompetenzzentren mit Workshop-Angeboten quasi an jeder Ecke, gerade auch in Problemkiezen wie Berlin-Kreuzberg oder Neukölln.

Die Frage ist nur, wie das Knowhow von dort an und in die Schulen kommt. Wenn man mit Lehrern und Mediatoren spricht, hört man immer wieder: Da gibt es viel Nachholbedarf. Es komme immer auch auf einzelne Lehrkräfte an, die mit ihren Schülern über Apps, Youtube etc. sprechen.

Thomas Feibel, Medienexperte, Kinder- und Jugendbuchautor hat einen Medien-Führerschein entwickelt, den er in Grundschulen und in seinem Buch „Smartphone – aber richtig!“ (Ravensburger Buchverlag) vorstellt. Er sehe keine Kardinallösungen bei dem Thema. Seine 15-jährige Tochter beispielsweise habe vor drei Jahren von Bekannten ein iPhone 4 geschenkt bekommen. Hätte er es ihr wegnehmen sollen? Nein. Feibel empfiehlt Eltern und Kindern kleine Schritte gegen die Smartphone-Sucht, respektive für den richtigen Umgang mit dem Smartphone.

Stichwort Vorbildfunktion. „Man muss sich doch nur selbst beobachten. Wer als Vater und Mutter selbst das Handy beim Abendbrot auf dem Tisch liegen lässt …“ Ansonsten gelte: Keine Klingel- oder Bimmeltöne bei Apps, Smartphone nicht im Schlafzimmer aufladen, ab einer gewissen Uhrzeit Handy ausschalten oder auch einfach mal die E-Mail-Funktion auf seinem Smartphone ignorieren.

Wenn es Eltern gelingt, ihre Kinder aufzuklären und ihnen einen zeitlichen Rahmen zu geben, dann werden diese später in der Regel weniger Probleme damit haben, ihr Nutzungsverhalten zu regulieren und sich auch mit anderen Dingen zu beschäftigen, rät Silke Naab, Chefärztin des Fachzentrums Psychosomatik in der Schön Klinik Roseneck. Manchmal helfe auch schon ein kleiner Familienrat mit der Erkenntnis „Wir alle lassen uns gerade viel zu sehr von unserem Smartphone lenken“ – und einer für alle Familienmitglieder geltenden Regelung: Während des Essens kein Handy auf dem Tisch.

Generation Wisch und Klick – wir werden mit ihr leben müssen, nicht gegen sie. Das gilt auch für Angela Merkel. Bei langen Debatten im Bundestag nimmt die Kanzlerin gerne mal das Smartphone in die Hand und wischt darauf herum. Denken Sie an Ihre Gesundheit. Also, was machen wir heute? Einfach mal das Handy weglegen. Oder zumindest die Internetfunktion ausschalten. Kopf hoch!

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