Bundespräsident: Joachim Gauck - eine Herausforderung für die Mehrheit
Joachim Gauck blieb Kandidat im Wartestand. SPD und Grünen werden ihn für sich reklamieren, auch die FDP. Nach dem Mund wird er ihnen aber nicht reden. Er ist eine Herausforderung für alle - auch für sich selbst.
Nun also Joachim Gauck, der Pfarrer, der Bürgerrechtler, der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen a.D. Es ist ein wenig, im Gefühl, wie bei Richard von Weizsäcker, von dem jeder wusste, dass er vom Zuschnitt präsidiabel war; aber auch er kam nicht im ersten Anlauf ins Amt. „Präsidentenmaterial“, so hätte es die Gräfin Dönhoff wohl genannt, ist Gauck geblieben. Er war kein Kandidat, der nach der Niederlage vergessen wurde. Gauck blieb Kandidat im Wartestand, gewissermaßen. Er blieb der, den die Mehrheit im Volk wollte, bis heute. So gesehen ist es folgerichtig, dass ihn nun auch die Mehrheit der Volksvertreter will und wählen wird.
Sozialdemokraten und Grüne werden das als Erfolg für sich reklamieren, vielleicht die Grünen noch ein wenig mehr als die SPD, aber das bleibt sich gleich. Die FDP wird sich dann in die Brust werfen und darauf verweisen, dass letztendlich sie es doch war, die Gauck zum Amt verholfen hat. Und das ist ebenso richtig, wie alles eben auch ein bisschen anders ist. Die SPD, mindestens die, ist zuletzt ja schon skeptischer geworden angesichts der Reden ihres Kandidaten, die so gar nicht zu ihr passen wollten. Energiewende, Finanzmarktkritik, Sarrazin, Gauck hat sich ein sehr eigenes Urteil erlaubt, seine eigene politische Unkorrektheit geradezu zelebriert.
Und weil er nicht unter einem Mangel ans Selbstbewusstsein leidet, weil er dazu noch über die Gabe der Rede verfügt, ein wortmächtiger Prediger seiner Ideen ist, hat Gauck sie vorgetragen in einer Weise, die keinen Zweifel daran ließ, dass er sich, ja, sagen wir, berufen fühlt. Hier wächst mithin ein Präsident heran, der sich gewiss nicht von irgendjemandem steuern lässt, und mit Sicherheit nicht von Grünen und Sozialdemokraten. Zu dieser Haltung wird seine Mehrheit ihn auch formal berechtigen. Wenn Horst Köhler für die politische Klasse schon eine Herausforderung war, dann Joachim Gauck erst recht. Die FDP wiederum hat mit ihrem Votum für Gauck, das seine Kandidatur zu erzwingen schien, einen kleineren Erfolg erzielt, als es sie es nach außen vertreten wird. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin – die Pfarrerstochter aus dem Norden, die nie etwas persönlich gegen den Pfarrer aus dem Norden hatte – mag blessiert wirken. Aber sie kann, wie so oft, abwarten. Denn Gauck wird eben nicht so reden, dass es Rot-Gelb-Grün gleichsam zwangsläufig in einer neuen Koalition zusammenbringt.
Und Gauck? Dem sollte doch klar geworden sein, und zwar durch seinen Amtsvorgänger, dass ein einziges Thema – bei ihm ist es das Thema Freiheit – nicht für eine ganze Präsidentschaft ausreicht; und dass die Vergangenheit immer auch Teil der Gegenwart werden kann. Womöglich melden sich jetzt noch die Kritiker seiner Amtsführung in der Stasi-Unterlagenbehörde. Das wird ihn nicht disqualifizieren, die Republik wird das nicht wollen. Ganz vielleicht aber wird es ihn an die Tugend erinnern, die besonders Seelsorgern oftmals sehr hilft: Demut. Das heißt: nicht ohne Mut. Es bedeutet vielmehr: mit dem Mut, sich auch zurückzunehmen, wenn es andere weiterbringen sollte.
Die anderen, das sind wir, die Gesellschaft, die sich eine Rückkehr zur wohlverstandenen Bürgerlichkeit nur wünschen kann. Das kann die Seele seiner Präsidentschaft sein. Denn eine Bürgerlichkeit, die, von Werten getragen, großzügig im Denken und im Handeln ist, ist der Wunsch, der sich seit Richard von Weizsäcker an jeden Bundespräsidenten gerichtet hat. Und jetzt an Joachim Gauck.