NSU-Pannenserie: Henkels beredtes Schweigen
Frank Henkel wurde sogar schon als Nachfolger von Klaus Wowereit gehandelt. Nun steht er in der NSU-Affäre unter Beschuss. Sein Amt und seine Würde scheinen zur Disposition zu stehen.
Mehr als ein halbes Jahr hatte Frank Henkel Zeit gehabt, sich auf diese Frage vorzubereiten, und ebenso lange, sich eine gute Antwort zu überlegen. Denn dass sie kommen würde, diese Frage, das musste Henkel wissen. Am vergangenen Donnerstag war es soweit. Der Abgeordnete Benedikt Lux von den Grünen stellte sie, im Parlament: Was denn der Innensenator von den Vorwürfen halte, dass der Berliner Verfassungsschutz keine Informationen zum NSU-Verfahren zugeliefert habe? Henkels Antwort: „Ich bin genauso wie Sie heute damit konfrontiert worden.“
Nur wer an extremer Spitzfindigkeit Gefallen findet, mag einwenden, dass Henkel offen ließ, ob er sich auf die – zutreffenden – Vorwürfe bezog oder auf die Tatsache an sich. Der weitere Wortlaut, in dem Henkel davon spricht, dass er „aufgrund der Aktualität“ nicht sagen könne, ob die Vorwürfe zuträfen, und dass „jetzt“ der Vorgang geprüft werden müsse, lässt eigentlich keinen semantischen Notausgang offen: Der CDU-Vorsitzende, Innensenator und Bürgermeister hat gelogen, vor den Abgeordneten und der Öffentlichkeit. Oder muss man sich an den Gedanken gewöhnen, dass Henkel, oberster Dienstherr der Berliner Sicherheitsbehörden, wirklich vergessen haben sollte, was für brisante Informationen er im März dieses Jahres erhalten hatte, ausgerechnet in dieser Ermittlungskatastrophe, in dieser Staatsaffäre?
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Die Aufklärung ist zu wichtig, um sie parteipolitisch aufzuladen und auszuschlachten. So halten sich die anderen Parteien auch weitgehend zurück mit persönlichen Schuldzuweisungen, zumal hinter jeder Erkenntnis bisher stets auch eine neue Ungeheuerlichkeit zum Vorschein kam. Es mag auch ermittlungstaktische Gründe gegeben haben, den Untersuchungsausschuss nicht sofort über die Verwicklung des Berliner Verfassungsschutzes informiert zu haben, und kein Innensenator, weder Henkel noch sein Vorgänger Erhart Körting, kann und muss über jeden V-Mann Bescheid wissen. Aber wenn Henkel hier nicht sensibel ist, wo ist er es dann? Wenn er hier keine Priorität erkennt, hat er dann überhaupt irgendeine? Oder, Möglichkeit drei nach Lüge und Vergesslichkeit, bekommt er überhaupt das Wichtigste mit?
Freundlich unauffällig hat Henkel sich in Berlin politisch so weit nach vorne schieben lassen, dass inzwischen sein Name fällt, wenn es um die Nachfolge Wowereits geht. Er muss sich deshalb aber auch daran messen lassen, was er tatsächlich macht, nicht nur, was er lässt. Sich herauszuhalten, Verantwortung nur abstrakt zu verstehen, zeichnet keinen großen Politiker aus. So lässt sich nicht einmal eine Innenbehörde gut führen. Ein Senator muss seinen Leuten drinnen vertrauen können, und die Leute draußen müssen dem Senator vertrauen können, dass es dafür gute Gründe gibt. Die sind bei Henkel bisher kaum zu erkennen, im Gegenteil: Der Funkverkehr zwischen der Polizei und ihrer kommissarisch amtierenden Präsidentin ist ausgerechnet bei wichtigen Fragen gestört, der Innenstaatssekretär kommt wie sein Vorgesetzter mit der Wahrheit selbst bei einfachen Fragen nicht klar. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Wahl, die Henkel in der Folge unverhofft in Amt und Würden brachte, stehen dessen Amt und Würde deshalb bei einer Sondersitzung im Innenausschuss schon wieder zur Disposition. Er muss die Dinge jetzt an sich ziehen, entschlossen, glaubwürdig, entscheidungsstark. Oder er wird die Verantwortung wieder los, bevor er sie richtig übernommen hat.
Lorenz Maroldt