Suhrkamp-Krise: Hartnäckig und mit Geduld
Das Denken der Suhrkamp-Autoren versendet sich heute stärker als früher in der allgemeinen medialen Hysterie. Dennoch gehört der Verlag noch immer zu den wichtigsten Geistesinstitutionen des Landes. Ein Glück, dass nun endlich ein Weg gefunden scheint, die leidigen Querelen zwischen den Gesellschaftern beizulegen.
Der Entfesselungskünstler Harry Houdini hätte es nicht verblüffender hinbekommen. Mit dem Antrag auf ein Schutzschirmverfahren, den der Berliner Suhrkamp Verlag am Montag beim Amtsgericht Charlottenburg stellte, ist die Totalblockade zwischen dem Mehrheitsgesellschafter, der Unseld Familienstiftung, und dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach durchbrochen. Die Annahme des Antrags ist offenbar reine Formsache. Zusammen mit einem von ihr berufenen Sanierungsberater und einem vom Gericht bestellten Sachwalter hat die Geschäftsführung dann drei Monate lang Zeit, mit der Gläubigerversammlung die künftige Aufstellung des Hauses auszuhandeln. Erst danach schließt sich womöglich ein Insolvenzverfahren an – in die Zerschlagung des Unternehmens muss es keineswegs münden.
Was an dieser verwickelten juristischen Materie ist eigentlich so spannend? Unbestritten der Unterhaltungswert des zwischen Thriller und Soap changierenden Spektakels. Die Rollen waren klar verteilt. Auf der einen Seite das geschäftsführende good girl Ulla Unseld-Berkéwicz, die geheimnisvoll umflorte Witwe des Verlegersonnenkönigs Siegfried Unseld, auf der anderen Seite der als Eindringling in die Familientradition wahrgenommene bad guy Hans Barlach.
Doch waren die Rollen so klar? Berliner und Frankfurter Gerichte hatten Barlachs legitime Interessen mehrfach erfolgreich gegen Berkéwicz verteidigt. Sie hatte ihm unter Hinweis auf die Arbeitsfähigkeit des Verlages die Auszahlung von Gewinnen verweigert und ihn von Unternehmensentscheidungen ausgeschlossen. Es geht dabei um ein justiziables Fehlverhalten, mehr noch aber um die Werte, für die beide stehen: Barlach für eine programmatisch erkennbar ahnungslose ökonomische Optimierung, Berkéwicz hingegen für eine literarische Kultur, die im Zweifel auf die Bilanzen pfeift.
Das ist ein mehr als symbolischer Kampfplatz, der in beider Interesse hätte befriedet werden müssen. Denn er besitzt trotz aller vom hauseigenen Weihrauch umnebelten Suhrkamp-Mythen auch im Konkreten höchste Gegenwärtigkeit. Festzustellen, dass sich die intellektuelle Hegemonialstellung, die der Verlag nach wie vor innehat, nicht an Bestsellern messen lässt, ist keine Aufforderung zu unvernünftigem Wirtschaften.
Der Habermas-Schüler Axel Honneth mit seinem „Recht auf Freiheit“, der Luhmann-Schüler Dirk Baecker, der Beschleunigungstheoretiker Hartmut Rosa oder der Kapitalismuskritiker Wolfgang Streeck mit seinem Hinweis auf die „Gestundete Zeit“ unserer Schuldengesellschaften: Sie alle haben, um einmal nur von den Deutschen zu reden, substanzielle Stichworte zum Verständnis unserer Situation geliefert – nicht zu vergessen die unermüdlichen Antipoden Peter Sloterdijk und Jürgen Habermas. Keine Buchreihe arbeitet so intensiv daran, die Grenzen von Natur- und Geisteswissenschaften durchlässig zu machen, wie die Edition Unseld. Und wie könnte man über Hans Blumenberg oder Georg Simmel hinweggehen, deren posthume Bedeutung wächst und wächst.
Die Marginalisierung der mit ihnen verbundenen Diskurse trifft nicht Suhrkamp allein. Sie fällt zusammen mit der hemmungslosen Medialisierung eines Feldes, das früher auch mal einen umständlich vorgebrachten Gedanken vertrug. Wenn sich mit Suhrkamp ein Ort retten lässt, an dem Geduld und Gründlichkeit noch hartnäckig geübt werden, wäre das für die gesamte Gesellschaft ein Gewinn.