zum Hauptinhalt
Patienten in einem Wartezimmer in Berlin.
© dpa

Benachteiligung von Kassenpatienten: Genug gewartet

Mit zentraler Terminvergabe schneller zum Facharzt, das klingt gut. Doch das wirkliche Problem wird so nicht gelöst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rainer Woratschka

Allmählich macht es einen krank, dieses Dauergezänk um den Kassenpatienten und sein Problem, zügig einen Arzttermin zu bekommen. Klar, die Mediziner sind der Meinung, dass denen, die ihnen weniger Geld einbringen, ein bisschen Warten nicht schadet – sie spielen das Thema herunter. Und klar, die gesetzlichen Kassen mühen sich, ihrer Klientel die Erfahrung zu ersparen, beim Doktor gegenüber Privatpatienten allzu sehr benachteiligt zu sein. Sie wettern über die Zwei-Klassen-Terminvergabe in den Praxen – und bauschen ihre Dimension auf.

Aktionismus für die Wähler

Über Patientenstudien lässt sich die Sache ebenso gut bagatellisieren wie dramatisieren, man muss offenbar bloß richtig fragen. Und die Politik schielt auf den Wähler. Da der in neun von zehn Fällen gesetzlich versichert ist, gibt es für Kassenpatienten nun etwas Aktionismus. Wer bei seinem Arzt nicht flott genug drankommt, kann sich künftig über eine zentrale Terminvergabestelle schnelleren Medizinerzugang verschaffen. Dummerweise nicht beim Wunscharzt, sondern bei irgendeinem. Und wenn das nicht klappt, darf der Patient auch ambulant ins Krankenhaus - und dort mit seinem Bluthochdruck oder seinem Ziepen in der Magengegend überforderte Notfallmediziner behelligen. Schlechte Aussichten für alle Beteiligten. Die Politik brüstet sich dennoch: Liebe Kassenpatienten, wir tun was für euch!

Auch Kassenpatienten wollen Mediziner ihres Vertrauens

Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass das Ganze kaum etwas bringen wird. Auch Kassenpatienten nämlich wollen sich den Arzt, dem sie sich anvertrauen, im Regelfall selber aussuchen und ihn nicht von irgendwelchen Bürokraten verordnet bekommen. Wer sich nur impfen oder routinemäßig untersuchen lassen will, wird sich zwar auch ärgern, wenn er nicht schneller vorgelassen wird. Dass sich deswegen aber viele einem wildfremden Mediziner anvertrauen, dessen leeres Wartezimmer auch den Verdacht auf schlechtere Behandlungsqualität keimen lässt, ist unwahrscheinlich. Und im Notfall hat ohnehin jeder das Recht, bei seinem Arzt oder im Klinikum stante pede behandelt zu werden. Auch ohne Termin.

Ärgerlich ist die Ungleichbehandlung bei den Terminvergaben dennoch. Und gefährlich kann sie obendrein werden – nämlich dann, wenn der Patient eine schwere Erkrankung unterschätzt und sich von einer forschen Arzthelferin abwimmeln lässt. Doch das Problem liegt nicht bei geldgierigen Schnöseldoktores, denen man nun Beine machen muss, damit sie ihre Kassenpatienten nicht vergessen. Es liegt in der Doppelstruktur unseres Gesundheitswesens, an deren Abschaffung sich auch in dieser Legislatur wieder keine der Regierungsparteien herantraut.

Kein Ärzte-, sondern ein Systemproblem

Hier die gesetzlich Versicherten, deren Behandlungspreise und -mengen von mächtigen Kassen gedrückt und budgetiert werden, damit die von den Arbeitgebern mitbezahlten Beiträge nicht in die Höhe schnellen. Dort die privat Versicherten, denen die Mediziner angedeihen lassen können, was sie wollen, und für die sie auch deutlich höher abrechnen können.

Wer will es den Ärzten verdenken, dass sie, wenn sie die Wahl haben, Letzteren den Vorrang geben? Daran ändert eine neue Terminvergabe-Bürokratie überhaupt nichts. Nur entschiedene Politik.

Zur Startseite