Gesundheitsreport: Gefühlte Zwei-Klassen-Medizin
Volle Praxen, schwierige Terminvergabe - immer mehr Patienten ärgern sich über lange Wartezeiten. Besonders die gesetzlich versicherten.
Die Wartezeiten für Arztbehandlungen werden von Medizinern und Patienten offenbar ganz unterschiedlich wahrgenommen. Während sich 54 Prozent der Bürger über eine zu langwierige Terminvergabe beklagen, behaupten 88 Prozent der Praxisärzte, ihre Termine in der Regel innerhalb von vier Wochen zu vergeben. Von den Fachärzten räumen nur 17 Prozent ein, dass dies oft nicht möglich sei, bei den Hausärzten sind es gerade mal drei Prozent.
Die Zahlen stammen aus dem aktuellen MLP-Gesundheitsreport, einer jährlichen Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag des Finanzdienstleisters. Damit haben die Patientenklagen über lange Wartezeiten im Vergleich zu 2012 erneut um zwei Prozent zugenommen. Besonders unzufrieden äußerten sich erwartungsgemäß die gesetzlich Versicherten. Von ihnen ärgerten sich 57 Prozent über verzögerte Terminvergabe und 69 Prozent über „sehr langes“ Sitzen im Wartezimmer trotz Termins. Von den privat Versicherten beschwerten sich nur 33 über die Terminvergabe und 44 Prozent übers Warten beim Arzt. Am längsten sind die Wartezeiten der Umfrage zufolge in Hamburg, Berlin, Brandenburg und Hessen, am kürzesten in Niedersachsen.
Die Allensbach-Resultate weichen auch erheblich von einer Patienten-Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV) aus dem Vorjahr ab, wonach angeblich zwei von drei Patienten sofort oder innerhalb von drei Tagen einen Arzttermin erhalten. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), jedenfalls nimmt sie jedenfalls als Bestätigung für die Koalitionsabsicht, die Wartezeiten gesetzlich zu regeln. Den Plänen zufolge sollen sich Patienten künftig an Servicestellen der KBV wenden können, um schneller Termine zu erhalten. Gelingt dies nicht, dürfen sie sich im Krankenhaus behandeln lassen – zulasten des Praxisarzt-Budgets.
In der Umfrage befürworteten 45 Prozent der Bürger diese neue Möglichkeit, schneller dranzukommen. Jeder dritte jedoch zeigte sich auch skeptisch – was damit zusammenhängen dürfte, dass die freie Arztwahl für 66 Prozent hohen Stellenwert besitzt. Die Praxisärzte lehnen die geplante Regelung mit großer Mehrheit ab. Und auch bei den weniger skeptischen Klinikmedizinern befürchten 78 Prozent, dafür nicht genug Kapazitäten zu haben.
Zugenommen hat bei den Patienten übrigens auch der Eindruck, dass ihnen Behandlungen oder Medikamente aus Kostengründen vorenthalten werden. 38 Prozent hegen einen solchen Verdacht, vor vier Jahren waren es noch 35 Prozent. Auch hier ist die Quote der gesetzlich Versicherten (41 Prozent) deutlich höher als die der Privatpatienten (elf Prozent). Und offenbar liegen die Misstrauischen gar nicht so falsch. Von den befragten Medizinern gaben 37 Prozent an, aus Kostengründen selten, gelegentlich oder auch häufig auf medizinisch angeratene Behandlungen verzichtet zu haben. Zeitliche Verschiebungen wegen des Geldes räumten 59 Prozent ein, davon 64 Prozent der Klinikärzte. Und die Zahl der Krankenhausmediziner, die durch den Kostendruck ihre Therapiefreiheit in Frage gestellt sehen, ist auf 79 Prozent hochgeschnellt. 2012 lag sie noch bei 60 Prozent.