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Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad: Welche Motive stecken hinter Teherans Atomprogramm?
© AFP

Irans Atomprogramm: Geleitet von Misstrauen

Im Streit um das umstrittene Atomprogramm Teherans könnte es eine kurze Atempause geben. Die könnte der Westen dazu nutzen, einen weniger erhitzten Blick auf die möglichen Intentionen der Teheraner Führung zu werfen.

Nachdem monatelang Drohungen der israelischen Regierung und der USA gegen den Iran die Debatte um das umstrittene Atomprogramm Teherans dominiert haben, bekommt nun die Diplomatie wieder eine Chance. Es ist ein kleiner Lichtblick, dass der Westen und der Iran am Freitag in Istanbul wieder am Verhandlungstisch Platz nehmen wollen. Die Positionen liegen weit auseinander – der Iran will die umstrittene Urananreicherung nicht einstellen, aber mittelfristig reduzieren. Und er hat unter Bedingungen einer Inspektion seiner Militäranlage in Parchin zugestimmt, wo der Westen geheime Waffenversuche vermutet.

Die Europäer können die Gespräche so interpretieren, dass die neuen Sanktionen die Islamische Republik an den Verhandlungstisch zurückgebracht haben und damit das Risiko eines Konflikts eingedämmt haben. Zumindest ist während der Dauer der Gespräche die Gefahr gebannt, dass Israel mit oder ohne amerikanische Unterstützung den Iran angreift. Das würde unabsehbare Kettenreaktionen auslösen.

Diese kurze Atempause erlaubt auch, einen weniger erhitzten Blick auf die möglichen Intentionen der Teheraner Führung zu werfen. Damit ist vor allem die Person des Obersten Religionsführers Ali Khamenei gemeint; denn er, nicht Präsident Mahmud Ahmadinedschad, trifft in dem komplexen Machtgefüge maßgeblich die Entscheidung über Bau und möglichen Einsatz einer Atombombe. Das wird im Westen oft übersehen. Nur leider ist über Khamenei weniger bekannt als über Ahmadinedschad, der schon längst ein Rivale des Obersten Religionsführers geworden ist.

Allgemein gibt es wenig Anzeichen dafür, dass der Iran sich weniger pragmatisch oder kriegstreiberischer verhalten sollte, wenn er die Bombe in Händen hätte. Wann hat der Iran das letzte Mal eine militärische Auseinandersetzung angezettelt? Vielmehr ist die Psyche der iranischen Führung geprägt von den historischen Erfahrungen regelmäßiger Invasionen von außen – von den Mongolen über die Briten und Sowjets bis hin zum Angriff des benachbarten Irak 1980. Bis heute lebt der Iran in einem ihm – aus seiner Sicht – feindlich gesinnten Umfeld, die USA streben eigentlich seit der islamischen Revolution einen Regimewechsel an.

Dieses aus historischer Erfahrung genährte iranische Misstrauen sollte neben Israels Sicherheitsbedürfnis berücksichtigt werden. Es könnte auch erklären, warum der Iran für das Pochen auf seine Souveränität in Kauf nimmt, dass er vielleicht angegriffen wird, selbst wenn er kein geheimes Atomprogramm betreiben sollte; so wie der Irak Saddam Husseins angegriffen wurde, obwohl er keine Massenvernichtungswaffen besaß.

Auch lohnt sich die Frage, warum im Falle des Iran Atomwaffen nicht wie im Kalten Krieg und anderswo der Abschreckung, sondern dem Angriff dienen sollten. Wer in der Teheraner Führung, die teilweise verbittert miteinander um die Macht kämpft, hat bisher Indizien dafür geliefert, dass er für einen Angriff auf Israel den eigenen Untergang riskieren würde? Selbst US-Militärs bescheinigten dem Iran in der Vergangenheit rationales Verhalten.

Diesen Fragen muss sich der Westen stellen, bevor er einen Präventivschlag mitträgt. Dennoch gilt: Der Iran soll keine Atombombe besitzen. Mit kühler Analyse und etwas Empathie für die psychologische Verfasstheit des Landes kann es vielleicht gelingen, den Iran so einzubinden, dass die Gefahr unkontrollierter Entwicklung gebannt wird.

Nachdem nun in Deutschland jeder Kritiker des verunglückten Textes von Günter Grass betont hat, dass die Debatte über Israels geheimes Atomprogramm kein Tabu sei, könnte man eine Diskussion führen. Das ist sich der Westen schuldig, wenn er seine eigenen Maßstäbe ernst nimmt. Vielleicht gibt es ja gute Gründe, dass Israel sein Programm keiner internationalen Kontrolle unterstellen soll. Gleichzeitig könnte die Debatte es Teheran erleichtern, sich zu entkrampfen – denn die empfundene Ungleichbehandlung scheint eines der Hauptmotive für die trotzige Unnachgiebigkeit zu sein. Der Versuch lohnt.

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