Gastkommentar: Für eine Fiskalunion mit beschränkter Haftung (FmbH)
Eine echte Lösung für die Schuldenkrise in Europa braucht vier Eckpfeiler, meint unser Gastautor Armin Steinbach. Einer davon ist ein mächtiger Euro-Finanzminister.
Es herrscht kein Mangel an Lösungsvorschlägen für die Staatsschuldenkrise. Allerdings gelingt es bislang nicht, den Widerspruch zwischen zwei zentralen Zielsetzungen aufzulösen: Die Wahrung von Eigenverantwortung und Haftung in der Euro-Zone einerseits, und eine vertiefte wirtschaftspolitische Integration zur Vermeidung neuer Krisen andererseits. Fast scheint es, als sei beides unvereinbar. Die Schaffung einer Fiskalunion mit vereinheitlichten Wirtschaftspolitiken inklusive Euro-Bonds wird als Eintritt in eine Transferunion à la Länderfinanzausgleich gesehen. Mehr makroökonomische Konvergenz gibt es also scheinbar nur im Austausch für weniger fiskalische Eigenverantwortung. Eine Fiskalunion mit beschränkter Haftung vermag das vermeintliche Paradoxon aufzulösen.
Jede Lösung muss sich an den drei Kardinalproblemen der Euro-Zone messen lassen: Erstens ist das Haftungsprinzip in der Euro-Zone aus den Angeln gehoben worden. Schuldenlasten können von Krisenländern auf andere Länder und deren Steuerzahler übertragen werden. Das „konstituierende Prinzip der Haftung“ (Walter Eucken) als Fundament wirtschaftlichen Handelns gilt nicht mehr. Das Fehlen eines abschreckenden Sanktionsverfahrens lädt zu haushaltspolitischer Disziplinlosigkeit ein. Und das Fehlen eines Regelwerks zum Umgang mit insolventen Staaten schafft Fehlanreize zugunsten von Gläubigern und zu Lasten von Steuerzahlern.
Zweitens ist die Funktionsweise der EU auf Divergenz statt auf Konvergenz ausgerichtet: Eine zentralisierte Geldpolitik in Verbindung mit dezentralisierten Wirtschaftspolitiken verstärkt die Unterschiede anstatt sie zu einzudämmen. Denn der geldpolitische „Einheits-Deckel“ mit seinem Einheits-Zinsatz passt eben auf nur auf einen wirtschafts-politischen „Topf“, nicht aber gleichzeitig auf den deutschen Suppentopf und die französische Casserole.
Die Euro-Länder unterscheiden sich hinsichtlich Inflation und Konjunkturdynamik, so dass unterschiedliche Zinspolitiken angemessen wären. Die Konsequenz ist, dass Geldpolitik im vergangenen Jahrzehnt in einigen Ländern expansiv, in anderen restriktiv gewirkt hat. In Spanien und Irland gab es Immobilien- oder Finanzbooms, in Deutschland nur Mini-Wachstum. Es besteht also kein Gleichklang zwischen geld- und fiskalpolitischer Integration, der die Entstehung makroökonomischer Ungleichgewichte vermeiden könnte.
Drittens fehlt ein wirksamer Krisenbewältigungsmechanismus, der in akuten Krisenzeiten wie heute ein glaubwürdiges Instrumentarium zur Hand hat. Ohne ausreichend Löschmittel kann ein brennendes Haus nicht gelöscht werden, sondern der Brand schwelt weiter und greift um sich. Aufgestockte und gehebelte Rettungsschirme haben bisher nicht ausgereicht, um die Brände an den Anleihemärkte zu löschen. Zu weitergehenden Maßnahmen (Euro-Bonds oder Bank-Lizenzen) konnte man sich bisher nicht durchringen, aus Angst das ohnehin verkümmerte Haftungsprinzip endgültig über Bord zu werfen und den haushaltspolitischen Schlendrian hoffähig zu machen.
Als Antwort darauf könnte eine „Fiskalunion mit beschränkter Haftung“ (FmbH) drei Grundsätze miteinander in Einklang bringen: Wahrung des Haftungsprinzips, langfristige Konvergenz und glaubwürdiges Krisenmanagement.
Eine FmbH braucht nicht nur einen Euro-Finanzminister
Erster Eckpfeiler einer FmbH in der Euro-Zone ist eine verschärfte Konsolidierungsaufsicht in Gestalt eines Euro-Finanzministers. Zur Sicherung der Haushaltsdisziplin würde dieser ein dreistufiges Sanktionsinstrumentarium erhalten. Auf der ersten Stufe wäre er verantwortlich für die Durchführung des Defizitverfahrens nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP). Diese Verfahrensstufe gestattet zwar einen Quasi-Automatismus in der Verhängung von Strafzahlungen, jedoch keinen unmittelbaren Durchgriff auf die Haushalte der Defizitsünder.
Auf der zweiten Stufe erhält der Euro-Finanzminister ein Veto-Recht bei der Verabschiedung des Haushalts, wenn ein Land dauerhaft gegen SWP-Vorgaben verstößt. Verletzt ein Land etwa im dritten Jahr infolge den SWP, kann der Haushalt nicht mehr ohne Zustimmung des Finanzministers verabschiedet werden.
Die dritte Stufe greift in Fällen, in denen Krisen-Länder zur Refinanzierung auf Hilfskredite angewiesen sind. Der Finanzminister kann dann umfassende Konsolidierungsvorgaben machen (wie bereits jetzt im Fall Griechenlands). Diese Form des gestuften Souveränitätsverlusts würde das Haftungs- und Konsolidierungsprinzip stärken.
Zweiter Eckpfeiler einer FmbH ist ein kurzfristiger Krisenbewältigungsmechanismus. Aufgestockte und gehebelte Rettungsfonds können die Märkte nicht beruhigen; Bank-Lizenzen und dauerhafte EZB-Käufe scheiden aus, um eine Monetarisierung von Staatsschulden und Inflationsgefahren zu umgehen. Stattdessen sollte der Euro-Finanzminister zur Erhebung einer „Krisen-Steuer“ in Höhe von 2 Prozent des Euro-BIP berechtigt sein. Das entspricht bei einem Euro-BIP von neun Billionen Euro einem jährlichen Aufkommen von 180 Milliarden Euro – eine ausreichend hohe Kapazität, um die Krisenländer für einige Jahre zu refinanzieren. Ob die „Krisen-Steuer“ am Ende tatsächlich erhoben werden muss, ist damit nicht gesagt. Die Steuererhebung wäre jedenfalls nicht ex ante auszuüben, also nicht zeitlich vor der Auszahlung von Krediten. Der Finanzminister könnte Anleihen zum Niedrigzins ausgeben und als Kredite weiter verleihen. Die Erhebung der „Krisen-Steuer“ wäre strikt davon abhängig zu machen, dass ein Krisenland Kredit und Zinsen nicht zurückzahlen könnte.
Ergebnis wäre ein schlagkräftiger Rettungsfonds, der zugleich aufgrund des gestuften Souveränitätsverlusts in der Haushaltspolitik dem Haftungsprinzip ausreichend Geltung verschafft. Verfassungsrechtlich wäre eine „Krisen-Steuer“ zulässig: Laut Bundesverfassungsgericht liegt eine verfassungswidrige Übertragung des Budgetrechts auf die EU erst dann vor, wenn die Abgaben- und Steuerkompetenz „in wesentlichem Umfang“ supranationalisiert wird. Bei einer EU-Steuerquote von 2 Prozent im Vergleich zur deutschen Abgabenquote von rund 37 Prozent kann von einem „wesentlichen Umfang“ nicht die Rede sein.
Resolvenz, Insolvenz und eine abgestimmte Lohnpolitik?
Dritter Eckpfeiler einer FmbH ist ein Resolvenz-Verfahren für insolvente Staaten. Ziel ist es, insolvente Staaten in eine Position tragfähiger öffentlicher Finanzen zurückzuversetzen. Es geht also ausdrücklich nicht um „staatliche Insolvenzen“, sondern um ein Verfahren, das staatliche Handlungsfähigkeit wiederherstellt. Ein Vorbild für ein Resolvenz-Verfahren findet sich in den USA. Dort existiert etwa bei insolventen Städten und Gemeinden ein geregeltes Verfahren, in dem sich Schuldner und Gläubiger auf eine Gläubigerbeteiligung verständigen. Ein „Haircut“ ist Bestandteil eines Resolvenz-Verfahrens. Antragssteller des Verfahrens wäre der betroffene Staat, als „Friseur“ und Resolvenzverwalter sollte der Euro-Finanzminister fungieren. Die positiven Folgen eines gesetzlich klar definierten Resolvenz-Verfahrens und von Budgetbeschränkungen lassen sich an der niedrigen Verschuldung der amerikanischen Bundesstaaten im Vergleich zu Europa ablesen: In den amerikanischen Bundesstaaten lagen die Schuldenstände auch im Krisenjahr 2009 nur zwischen etwa 8 und 27 Prozent des BIP – im Vergleich zu 118 Prozent in Italien. Ein gesetzlich verankertes Resolvenz-Verfahren mit Gläubigerbeteiligung ist Ausfluss des Haftungsprinzips – es reduziert Verschuldensanreize bei Gläubigern und Schuldnern.
Als vierter Eckpfeiler müssen makroökonomische Ungleichgewichte im gemeinsamen Währungsraum identifiziert und gegebenenfalls korrigiert werden. Die jüngste Reform des Euro-Regelwerks macht hier einen ersten Schritt. Zur fiskalpolitischen Stabilität soll zukünftig ein „Scoreboard“ genanntes makroökonomisches Überwachungssystem beitragen, das übermäßige Ungleichgewichte in und zwischen den Mitgliedsstaaten frühzeitig erkennen hilft.
Damit können etwa die bisher vernachlässigten Leistungsbilanzungleichgewichte, Immobilienpreise und privaten Schulden besser abgebildet werden. Weil innerhalb der Euro-Zone nach wie vor Unterschiede in den Inflationsraten sowie in der Wettbewerbsfähigkeit bestehen, muss aber auch die Lohnpolitik koordiniert werden. Schließlich agiert die Geldpolitik umso zielgenauer, je mehr die durch Lohnunterschiede verursachten Differenzen in den Inflationsraten abgebaut werden.
Die Lohnentwicklung in den europäischen Mitgliedstaaten sollte sich konsequent an den Produktivitätsfortschritten orientieren. Lohnabschlüsse, die dauerhaft oberhalb der Produktivität liegen, verschlechtern die Wettbewerbsfähigkeit und heizen die Inflation an. Dauerhaft zu niedrige Lohnabschlüsse wiederum schwächen die Binnennachfrage, wirken deflationär und schwächen damit das Wachstum. Koordinierte Lohnpolitik ist jedoch nur dann möglich, wenn sich Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Zentralbank und Mitgliedsstaaten zu einer konzertierten Aktion bereitfinden. Deshalb gilt es den auf EU-Ebene bestehenden „Makroökonomischen Dialog“ zwischen den Akteuren aufzuwerten: Ein intensiver Informationsaustausch und freiwillige Selbstverpflichtungen erleichtern Fiskal- und Geldpolitik ihre Aufgaben.
Die Lohnfindungsprozesse bleiben in der Hand der Tarifparteien. Allerdings sollten Lohnabschlüsse gegenüber der EZB frühzeitig transparent gemacht werden. Denn je mehr Informationen die EZB über die Lohnentwicklung hat, umso effektiver kann sie ihr Mandat zur Preisniveausicherung erfüllen. Und je besser Regierungen und Tarifparteien über die Pläne der Geldpolitik informiert sind, umso leichter fallen fiskal- und lohnpolitische Entscheidungen.
Unterm Strich gelingt es einer FmbH Lösungen für die drei Kardinalprobleme der EU zu geben: Die Wahrung des Haftungsprinzips sowohl bei kurzfristigen Rettungsmaßnahmen als auch bei der langfristigen Haushaltskonsolidierung; ein größerer Gleichklang zwischen geld- und wirtschaftspolitischer Integration, um die Entstehung makroökonomischer Ungleichgewichte zu vermeiden; und ein schlagkräftiger und glaubwürdiger Krisenmechanismus.
Armin Steinbach ist Volkswirt und Jurist und arbeitet als Referent in einem Bundesministerium. Zuvor war er unter anderem bei der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf tätig. Der Inhalt dieses Beitrags spiegelt seine persönliche Auffassung wider.