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Bis 2035 werden Mitarbeiter im öffentlichen Dienst nun auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit überprüft, das ist jetzt in durch die Novellierung des Stasiunterlagengesetzes festgehalten.
© dpa

DDR-Aufarbeitung: Für die Stasi-Überprüfung bis 2035

Dass wir die Verlängerung der Stasi-Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst brauchen, findet auch Lutz Rathenow. Er kritisiert den Ekel einiger Politiker vor brisanten Akten.

Wenn eine Gesetzesänderung zu vernünftig ist, erregt sie fast Misstrauen. Das jetzt mehrheitlich verabschiedete Stasiunterlagengesetz, das die Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ausweitet und bis zum Jahr 2019 verlängert, wird nicht reichen, den Umgang mit dieser Form verschrifteter Vergangenheit zukunftssicher zu machen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die allgemeinen Überprüfungen in bestimmten Verantwortlichkeitsbereichen werden aber über 2019 hinausgehen müssen, wahrscheinlich in Einzelfällen bis zum Jahr 2035, wenn die letzten Bürger ins Rentnerdasein überwechseln, die zu DDR-Zeiten bereits volljährig waren.

Bei einigen Politikern scheint seit 1990 eine Art Aktenekel zu herrschen. Sie wollen alles hinter sich lassen und meinen, das diene der Versöhnung. Doch die Dokumente sind beherrschbar und benutzbar. Ihre Auswertung und die Diskussion über IM-Verstrickungen können als Training für den rechtsstaatlichen Umgang mit den Echos der Vergangenheit dienen. Es geht bei den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nicht nur um die Stasi, sondern um die Analyse der ganzen DDR-Gesellschaft. Diese geheimen Tagebücher eines Kampfes um den Machterhalt enthalten einfach mehr Material als andere DDR-Akten. Deshalb möchte ich wenigstens diesen Kern der Akten erhalten, der die dunkle Seite der realkommunistischen Macht, ihr Destruktives, Böses am deutlichsten widerspiegelt. Ihre Auswertungsmöglichkeiten müssen verbessert werden.

Sie tangieren auch Bereiche außerhalb der DDR, den Westen an sich und die Bundesrepublik im Besonderen. Von Westberlin ganz zu schweigen. Operationsgebiet nannte es die Stasi, als sei es nur für ihre Aktivitäten erfunden worden. Hier könnte sich Deutschland einen Dienst erweisen und der Welt eine Lektion in Sachen Diktaturprävention erteilen. Um die Diktatur der DDR zu erforschen, muss auch ihr feindlicher Bruder BRD beleuchtet werden. Das sollte in der nächsten Fassung des Akteneinsichtsgesetzes berücksichtigt werden.

Jetzt schon sollte mittel- und langfristig über weitere Änderungen und die Perspektive dieser Papiere nachgedacht werden. Ihre Aufnahme ins Weltdokumentenerbe (eventuell in exemplarischen Teilen) sollte die Umsetzung dieser Perspektive erleichtern. Es braucht weitere Mitarbeiter, um endlich die von verschiedenen Aufarbeitungsinitiativen immer wieder geforderte Aktenerschließungsoffensive zu leisten. Die Mitarbeiter in Chemnitz, Dresden oder Leipzig leisten mit stark reduzierten Personalbestand eine Arbeit, die sich nicht reduziert hat. Das Zusammenpuzzeln ganzer Säcke zerschnittener Dokumente scheint ja nun voranzukommen und zeigt, dass diese Unterlagen noch längst keine sind, die einer zu kennen glauben kann.

Und wie ist es mit der häufig gehörten Forderung, Überprüfungen nur bei Verdacht vorzunehmen? Das wäre die zynischste Variante: einen Verdacht erst erzeugen zu müssen, um ihn vielleicht entkräften zu können. Selbst bei einem irrigen Verdacht würde das nicht mehr vollständig gelingen. Die Boulevardpresse und ihre Enthüllungsbereitschaft würden dann den Rhythmus der Überprüfungen bestimmen. Nein, es braucht klare Regeln – für die zwingende Überprüfung und für die freiwillige, über das gesetzlich notwendige Maß hinaus. Die Routineüberprüfung schützt alle, auch ehemalige Mitarbeiter, deren unterschiedliche Mitwirkungsintensität an der DDR-Macht erkundet und berücksichtigt werden kann.

Wenn man die Vergangenheit nicht möglichst exakt erfasst, dann verselbstständigt sich die Geschichte und führt zu neuen Ungerechtigkeiten. Dann vervielfältigt sich die DDR durch ihren Tod in einer merkwürdigen Weise, und zur alten Neurosensammlung kommen neue Schädigungen hinzu. Die Gesetzesänderung setzt positive Impulse dagegen.

Der Autor ist Schriftsteller und Beauftragter für die Stasiunterlagen des Landes Sachsen.

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