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Helmut Kohl, bei der Präsentation des eigenen Buchs
© AFP PHOTO / DANIEL ROLAND

Streit um Kohl-Buch: Fragen zum Charakter des Chronisten

Heribert Schwan hat Helmut Kohl in seinem Buch verraten. Was er an historischen Fakten liefert, macht dieses Verhalten nicht wett. Trotzdem muss es erlaubt sein, über die Kellerstunden mit dem Altkanzler zu schreiben. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ein Journalist sollte sich nie mit etwas gemeinmachen, zitiert Helmut Kohls Biograf den berühmt gewordenen Satz des früheren Tagesthemen- Moderators Hanns-Joachim Friedrichs. Nähme er dies ernst, hätte Heribert Schwan nicht als Journalist im Keller des Altkanzlerheims gesessen, sondern als der Erfüllungsgehilfe einer Selbstdenkmalsetzung, der er laut seines Verlagsvertrags auch war. Schwan, neugierig und fasziniert, hat sich gemeingemacht mit Kohl. Er hätte vermutlich, auch wenn er heute das Gegenteil sagt, eine Schweigeklausel für die Gespräche unterschrieben, die er im umstrittenen Buch-„Vermächtnis“ erfolgreich unter Volk und Medien bringt.

Hat er aber nicht, weshalb er sich unbelastet fühlt und nun in der Chronistenpflicht sieht. Ein Rollenwechsel mit Gewissenbissen, die der Autor mit Berufung auf die Bedeutsamkeit des Anliegens wortreich zu neutralisieren sucht. Nur gelingt das nicht. Schwan liefert zu wenig. Für sein bisschen historisches Beutesilber würde er über Leichen gehen und hat nicht mal die Geduld zu warten, bis sie gestorben sind.

Wie gut, dass Rechtsfragen keine Charakterfragen sind und auch nicht damit verwechselt werden sollten. Ähnlich trocken wie die Richter die Eigentumsfrage an den Tonbändern entschieden, beurteilen sie nun deren Verwertung: Der Kanzler von Einheit und Euro wird dieses Format auch in einem Bungalowkeller nicht los, egal wer ihn befragt, solange er im politischen Thema bleibt. Wie erheblich das Gesagte ist, mag dabei zweitrangig sein. Es sollte nur genügen, um das historische Bild weiter zu vervollständigen. Hier reicht, was Schwan uns liefert.

Und was taten Kohl oder die, die den Wehrlosen beraten? Sie schritten zu Gericht mit einem Schrotflinten-Antrag, der weniger auf juristisch Erreichbares zielte als auf das symbolische Verbot des Gesamtwerks. Dass sie damit nicht durchdrangen, kann kaum überraschen. Mehr Erfolg hätte womöglich ein Antrag gehabt, der sich mit Einzelpassagen im Buch auseinandersetzt, und auch das wäre fraglich. So hat das Berliner Kammergericht 2007 in einem Streit um den unerlaubten Abdruck von Günter- Grass-Briefen angedeutet, dass bei „großer zeitgeschichtlicher Bedeutung“ Einzelzitate zulässig sein sollten.

Entweder war Kohl also schlecht beraten oder er war naiv. So naiv wie damals, als er einen gestandenen Journalisten zum Auftragsschreiber degradierte und ihm nicht mal das in solchen Fällen gängige schriftliche Versprechen abnahm, über das Bekanntgewordene außerhalb der Publikation zu schweigen. Kohl, der überall Verräter um sich sieht, nur Verräter, hat nun einen Verräter mehr gegen sich. Vielleicht war er auch so leicht zu verraten, weil er meint, Vertrauen sei alles im Leben. Denn das stimmt nicht. Manchmal braucht man einen Vertrag.

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