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Putin und der Westen: Es ist Krieg

Die Zeit der Schönredner und Bagatellisierer ist vorbei. Russland hat auf der Krim und in der Ostukraine Präzedenzfälle geschaffen. Der Westen muss sich revitalisieren. Ein Kommentar.

Klarheit ist manchmal ein hoher Wert. Insofern muss der Westen, so zynisch das klingt, Wladimir Putin dankbar sein. Er lässt keinen Zweifel über seinen aggressiven interventionistischen Kurs mehr zu. Die Krim hat er sich unter Berufung auf völkische Prinzipien bereits völkerrechtswidrig einverleibt. Nun führt er einen offenen Krieg in der Ukraine. Damit ist die Zeit der Schönredner, Bagatellisierer, zerknirscht nach eigenen Fehlern Fragenden vorbei. Wer sehen kann, der sieht. Und dass ausgerechnet Putin, der Held aller europäischen Rechtspopulisten, den Faschismus in Kiew wittert und ihn die ukrainische Armee an Hitlers Wehrmacht erinnert, belegt nur, dass er offenbar glaubt, seinen Propagandaapparat allein durch die Umwortung aller Worte noch am Leben erhalten zu können.

Laut, aber kläglich

Doch je lauter das Lamento des Westens, desto kläglicher wirkt er. Barack Obama ist auf dem Rückzug. Als der amerikanische Präsident ein einziges Mal eine rote Linie zog – für den Fall, dass Syriens Diktator Assad Giftgas einsetzt –, wurde er düpiert. Seitdem sagt Obama lieber, was er nicht tut, keine Waffen einsetzen (Ukraine), keinen Plan haben (Irak). Die IS-Milizen morden nach Belieben, in Nahost fliegen erneut die Raketen. Europa wiederum ist schwach. Die Euro-Krise ist nicht vorbei. David Cameron und François Hollande stehen in ihren Ländern vor gewaltigen Problemen.

Nato ohne Ahnung

Die Nato schließlich hat keine Ahnung, was sie will. Die Ukraine aufnehmen, womit Kiew akut liebäugelt? Nein, da ist doch jetzt Krieg, betont die Bundesregierung, um die Diskussion darüber möglichst früh abzuwürgen. Zum Nato-Gipfel in der kommenden Woche in Wales wird auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erwartet. Zu viel Hoffnung sollte ihm nicht gemacht werden, die Enttäuschung könnte umso größer sein.

Bleiben am Ende ein paar markige Statements, vorgetragen mit sorgenzerfurchter Miene, und weitere Sanktionen, die allerdings Russland bisher schon kaltgelassen haben. Höchste Zeit also, dass das Ende aller Illusionen auch ein Ende der Agonie einleitet. Vom EU-Gipfel an diesem Samstag und dem Nato-Gipfel in der kommenden Woche müssen entsprechende Signale ausgehen. Dazu gehört die Einsicht, dass die Krise mit Russland wohl dauerhaft sein wird. Das wiederum hat Folgen für die nationalen Verteidigungshaushalte, die Energiepolitik, das Nato-Aufnahme-Prozedere. Alle Aspekte der westlichen Russlandpolitik müssen langfristig strategisch neu definiert werden. Gut möglich, dass die Sanktionen auch die eigenen Exporterlöse beeinträchtigen und Arbeitsplätze kosten. Das aber spricht nicht gegen sie, sondern für staatliche Hilfsprogramme an die betroffenen Industrien.

Putin, der Unbeschränkte

Wer nur die Ukraine im Blick hat, übersieht, dass Russland auf der Krim und in der Ostukraine Präzedenzfälle geschaffen hat. In Polen, Tschechien, dem Baltikum wird genau beobachtet, welche Grenzen diesem Neoimperialismus gesetzt werden. Auch Putin beobachtet das. In sich selbst findet er keine Beschränkung. Er braucht dafür ein Gegenüber, den Westen. Europa, Amerika, der Westen – das freilich ist mehr als ein etwas marode gewordenes Zweckbündnis. Es ist eine Wertegemeinschaft, die sich erfolgreich gegen den Sowjetkommunismus behauptet hat und nun, durch Putin, vor der Notwendigkeit ihrer Revitalisierung und Wehrhaftigkeit steht. Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, dachte kaum einer daran, dass sich die Geschichte in dieser Form einmal zurückmelden würde.

Malte Lehming

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