Politik und Öffentlichkeit: Es gilt das ungeregelte Wort
Vom Facebook-Kontakt bis zum Hintergrundgespräch – die Regierung sucht Öffentlichkeit, wie sie es für richtig hält. Vorschriften gibt es kaum. Kann das gutgehen?
Frei ist die Rede und stark das Recht, seine Meinung zu äußern. Noch nie war das politische Wort so leicht unters Volk zu bringen wie heute. Internetzugang genügt. Teilhabe und Einflussnahme oder zumindest die Illusion davon sind Gemeingut geworden, dank Facebook und Twitter. Jene, die sie einst als Privileg genossen, allen voran Politiker und Journalisten, müssen teilen lernen. Das kann zu Konfusionen darüber führen, wie geredet und wann besser geschwiegen werden muss. Gerade bei Politikern.
Ein solcher Fall liegt am Mittwoch dem Bundesverfassungsgericht vor. Als die AfD 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise unter dem Motto „Asyl braucht Grenzen. Rote Karte für Merkel“ in Berlin demonstrierte, veröffentlichte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) auf der Webseite ihres Ministeriums dieses Statement: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden.“
Die AfD klagte. Politik dürfe amtlich verteidigt werden, hält die Bundesregierung dagegen. Ob die Richter das auch so sehen werden, ist fraglich. „Soweit der Inhaber eines Regierungsamts am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt“, hatten sie im Eilverfahren entschieden. Die Wanka-Warnung vor der AfD musste vorerst verschwinden.
Wann und über was muss der Staat Bürger, Parlament oder Journalisten informieren?
Ähnliche Prüfungen in Karlsruhe hatten auch schon Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und sogar der damalige Bundespräsident Joachim Gauck nach NPD-Kritik über sich ergehen lassen müssen. Mit gutem Ausgang für sie. Doch insbesondere Gauck muss sich wie im falschen Film gefühlt haben, als er auf Antrag einer Nazi-Partei gerichtlich Rechenschaft ablegen musste. Dabei haben sie allesamt niemanden beleidigt oder verleumdet
Warum ihnen den Mund verbieten? Die Antwort ist einfach: Weil sie nicht nur Politiker, sondern auch Amtsträger sind. Sie sind, wenn nicht direkt Teil der Exekutive, dann zumindest Teil der Staatsleitung. Ausgestattet mit privilegiertem Zugang zur Öffentlichkeit und damit einem Vorsprung im politischen Wettbewerb. Das sind die Mittel und Möglichkeiten, die das Verfassungsgericht meint. Demokratie besteht daraus, dass andere Meinungen eine faire Chance haben. Politische Kommunikation aus dem Staatsamt heraus unterliegt daher anderen Pflichten als die Diskursteilnahme von Parlamentariern.
Die genannten Fälle zeigen, dass es hier bis hinauf zum – ehemaligen – Staatsoberhaupt mindestens Unsicherheiten gibt. Das abschließende Urteil über Wanka wird manche davon beseitigen und mutmaßlich neue schaffen. Dass staatliche Kommunikation justiziabel ist, ihre Gestaltung einen rechtlichen Rahmen hat, gehört zwar zum Verfassungsbestand der Bundesrepublik. Doch handelt es sich um hochdynamische Prozesse, in denen sich die Akteure unter immer wieder veränderten Bedingungen bewähren müssen.
Das gilt auch für die Umkehrung des Mitteilungsprozesses, der Verweigerung von Kommunikation. Wann und über was muss der Staat Bürger, Parlament oder Journalisten informieren? Unsicherheit auch hier, wieder bis an die Spitze. So war der Bundespräsident lange der Ansicht, er könne sich aussuchen, was er öffentlich mitteilt. Das wurde noch unter Amtsinhaber Gauck gerichtlich korrigiert, auf Antrag des Tagesspiegels. Das Präsidialamt ist in dieser Hinsicht seitdem eine informationspflichtige Behörde wie andere auch.
Die Regierung meint, sie habe bei Facebook und Co. ein weit reichendes Hausrecht
Auffällige Diskrepanzen traten jüngst in einem Karlsruher Verfassungsstreit zutage: der Klage der Grünen-Fraktion auf Auskünfte zu Bahn-Geschäften. Immerhin ein Unternehmen, dass zu hundert Prozent in Staatseigentum steht, kaum Wettbewerber hat und trotz Milliardenschulden keine Insolvenz fürchten muss. Die Regierung beschwört wirtschaftliche Nachteile und sperrt Informationsgrundlagen für politische Diskussionen. Erst jetzt folgt eine erstaunlich späte Klärung angesichts der Tatsache, dass seit der Privatisierung fast ein Vierteljahrhundert vergangen ist.
Bisher einzigartig – und entsprechend ungefestigt – sind die rechtlichen Beziehungen, welche die Regierung über soziale Netzwerke eingeht. Auf Facebook, Twitter, Instagram tritt der Staat in den direkten Dialog mit dem Volk, natürlich nicht zuletzt mit dem Anliegen, die Politik der Herrschenden in gutes Licht zu rücken. Ein gerade in Wahlkampfzeiten sensibles Angebot, vermengt es doch journalistische Elemente mit persönlicher Ansprache und Sympathiewerbung. Wie bei der Bahn: Solange niemand vor Gericht zieht, macht die Regierung hier, was sie für richtig hält.
Das gilt auch im Kontakt mit den Bürgern. Nutzerkommentare, die Benimmregeln („Netiquette“) widersprechen, werden gelöscht. Ein Direkteingriff in die Meinungsfreiheit, wie es ihn in dieser Eindeutigkeit noch nicht gegeben hat. Die Regierung meint, sie habe ein weit reichendes Hausrecht. Möglicherweise ein Irrtum. Sie integriert in privat betriebene Netzwerke eine staatliche Plattform, die ausdrücklich dem Bürgerdialog dienen soll.
Damit gelten staatliche Bindungen, allen voran Neutralität. Löschen heißt aber immer auch einmischen. Theoretisch wäre die Regierung daher möglicherweise gezwungen, in dem Forum kritische Meinungsgebilde bis zur Schmähgrenze und in begründeten Fällen auch darüber hinaus hinzunehmen. Natürlich tut sie das nicht. Es soll ja alles nett und freundlich aussehen. Im Dilemma zwischen Ausstieg aus den Netzwerken und Zensur hat man sich für die Zensur entschieden.
"Unter drei" können Politiker freier sprechen
Die aktuell wohl spannungsreichste Grauzone erstreckt sich auf die Kommunikation mit Journalisten. Presse und Rundfunk haben einen Anspruch darauf, über behördliche oder auch ministerielle Tätigkeit informiert zu werden. Dem kommen die staatlichen Stellen auf vielfache Weise nach, in Gesprächen, E-Mails, Ansprachen, Dokumentfreigaben, Podcasts, Interviews. Einen zentralen Kanal bilden Regierungspressekonferenzen, bei denen sich Vertreter von Kanzleramt und Ministerien Journalistenfragen stellen.
Ein Treffen mit Tradition, aus dessen Satzung sich ein eigenes Format entwickelt hat: das sogenannte Hintergrundgespräch. „Unter drei“, heißt es im Journalistenjargon, abgeleitet von der Satzung des Bundespressekonferenz-Vereins, der die Treffen veranstaltet. Dort heißt es in Paragraf 16: „Die Mitteilungen auf den Pressekonferenzen erfolgen: unter 1. zu beliebiger Verwendung oder unter 2. zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftsgebenden oder unter 3. vertraulich“.
„Unter drei“ können Politiker freier sprechen, ohne die Sorge, Gesagtes sogleich in der Zeitung wiederzufinden. Ein anderer Vorteil wird seltener artikuliert: Es gilt als verabredet, dass Journalisten das auf diese Weise Erfahrene in ihre Berichte einfließen lassen, als eigenes oder aus ungenannten Quellen recherchiertes Wissen präsentieren dürfen. Wenn Medien beispielsweise ohne weitere Ursprungsangabe zu entnehmen ist, was die Regierung, eine Fraktion oder eine Partei so alles denkt, plant, fühlt oder meint, dann ist dies häufiger das Ergebnis solcher Hintergrundgespräche.
Von der Regelung profitieren Politiker und Journalisten gleichermaßen
Die Regierung schätzt das Format, weil darin politische Haltungen transportiert werden können, etwa betreffend die Beziehungen zu anderen Staaten, die aus diplomatischen Gründen besser unveröffentlicht bleiben sollen. Auch bietet sich Politikern der Vorteil, ein Thema oder eine Botschaft in der Presse unterzubringen, ohne als diejenigen erkennbar zu sein, die die Debatte angeschoben haben. Stattdessen findet die Information der Öffentlichkeit unter dem Siegel journalistischer Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und des objektiven Für-wichtig-Haltens statt.
Auch Journalisten profitieren. Sie bekommen Material aus den Zirkeln der Eingeweihten, das sie nutzen können. Es ist kein Geheimnis, dass auf diese Weise versucht wird, sie für sich einzunehmen. „Die Mächtigen korrumpieren die Journaille ja nicht mit Geld, sondern mit exklusiven Interviews, der Teilnahme an vertraulichen Beratungen und Hintergrundgesprächen und dem Zustecken exklusiver Informationen“, resümiert „Focus“-Gründer Helmut Markwort Lehren aus seinen Berufsjahren. Wenn man „korrumpieren“ durch „beeinflussen“ ersetzt, werden viele Journalisten den Satz unterschreiben können.
Die Praxis ist Ausdruck eines Konsensbedürfnisses, das in Deutschland kennzeichnend für die politische Debatte ist. Sie beugt Verhärtungen vor und setzt die Schwellen für den Informationsfluss herab, durchaus im Sinne des Gemeinwohls. Das ist die gute Seite.
Andererseits lässt sich für das Publikum nicht immer erkennen, wer Themen steuert oder vorantreibt. Presse oder Politik? Das daraus resultierende Misstrauen hat mit dem Vorwurf der „Lügenpresse“ ein Schlagwort erhalten, das durch den Sachverhalt in keiner Weise gerechtfertigt ist. Dennoch ist die Kritik an Nähen zwischen Berichterstattern und denen, über die sie Bericht erstatten, etwas, zu dem jeder Akteur seine eigene professionelle Haltung finden muss.
Es ist Aufgabe der Medien, Informationen für die Öffentlichkeit zu beschaffen, bloß für sich selbst
Bedenklich wird es, wenn die Regierung die Information der Öffentlichkeit mit der vertraulichen Information von Journalisten verwechselt. So pflegt etwa das Auswärtige Amt seine Antworten auf Presseanfragen ausdrücklich „Unter zwei“ oder „Unter drei“ zu geben. Dort nennt man dies eine „Verwendungsvorgabe“, womit deutlich wird, dass man sich staatlicherseits und in Ansicht des längeren Hebels, an dem man sitzt, vom Konsens verabschiedet: Es gibt „vertrauliche“ oder eben gar keine Information.
Es liegt auf der Hand, dass solche Gepflogenheiten mit den verfassungsmäßigen Rechten der Presse auf Information durch staatliche Stellen kollidieren – und zugleich mit deren Pflicht, als Urheber einer amtlichen Information erkennbar zu sein. Schließlich ist es die öffentliche Aufgabe der Medien, Informationen nicht nur für sich und ihren Hintergrund, sondern für die Allgemeinheit zu beschaffen.
Dazu will es schlecht passen, dass amtlich organisierte Zusammentreffen etwa der Bundeskanzlerin mit ausgewählten Journalisten zur Geheimsache gestempelt werden. Eine Eilklage, mit Blick auf den Bundestagswahlkampf etwas Transparenz einkehren zu lassen, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg kürzlich zurückgewiesen, nachdem die erste Instanz mehr Transparenz bei dem Thema noch für „geboten“ gehalten hatte. Nun läuft ein Hauptsacheverfahren.
Ihre staatliche Kommunikation ist nichts, was die Regierung von sich aus zu regeln bemüht ist. Das maßgebliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit ist 40 Jahre alt. Forderungen des Bundesverwaltungsgerichts, die Auskunftsbeziehungen des Bundes zu Journalisten per Gesetz zu regeln, werden bisher ignoriert.
Welchen Sinn haben Hintergrundgespräche, wenn das Gesagte nicht bis zum Publikum durchdringt?
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands Frank Überall hat angeregt, darin künftig die Praxis von Hintergrundgesprächen aufzunehmen. Dass bestimmte, insbesondere reichweitenstarke öffentlich-rechtliche Medien exklusiv Staatsinformationen erhalten, während andere ausgeschlossen sind, verstößt offenkundig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung.
Zu erörtern wäre in diesem Kontext auch ganz allgemein die Frage, welcher Sinn oder Vorteil für ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen darin liegen soll, Journalisten staatlicherseits „vertraulich“ mit Kenntnissen auszustatten, die sie ihrem Publikum dann weitgehend vorenthalten sollen. Ein Ergebnis könnte zudem die Einsicht sein, das die seit Langem eingeführte (und vielfach bewährte) Praxis des amtlichen „Hintergrunds“ prinzipielle Widersprüche mit den bereits geltenden journalistischen Informationsrechten aufwirft.
Es erstaunt zuweilen, mit welchem Gleichmut sogar Pressevertreter sich mit den Gegebenheiten abfinden. Wohl hängt es auch damit zusammen, dass der tradierte Konsens für alle Seiten noch immer ausreichend Ertrag abwirft. Politiker können sich „im Hintergrund“ und auch sonst auf Journalisten verlassen und umgekehrt. Dass sich solche Verhältnisse auch in demokratischer Tradition ändern können, mit unabsehbaren Folgen für den politischen Prozess, lässt sich an den USA unter Donald Trump beobachten. Das gegenseitige Vertrauen schwindet, Trump bricht mit Gewohnheiten und Privilegien. Dann ist es gut, wenn für das freie Spiel der Kräfte ein paar feste Regeln gelten.
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