Wulffs Anwalt: Es geht weiter ums Rechthaben und Spießumdrehen
Erst nach langem Hin und Her willigte Wulffs Anwalt ein, die Medienfragen zur Affäre seines Mandanten zu veröffentlichen. Die Öffentlichkeit kann sich schon jetzt darauf einstellen, dass das Possenspiel noch lange nicht vorbei ist.
Was sie einmal begonnen hat, davon kann sie nicht mehr lassen, schrieb der Dichter Homer über Eris, griechische Göttin der Zwietracht, Erfinderin des Zankapfels und bis heute Patronin aller, die sich um des bloßen Rechthabenwollens streiten. Schützend hält Eris ihre Hand über Christian Wulff und seinen Anwalt Gernot Lehr, ein Tandem, das angetreten war, eine Affäre aufzuklären und das nun ins Schlingern kommt. Nur: Ist Eris wirklich eine, auf die man vertrauen sollte? Gute Politik sollte rechtmäßig sein, nicht rechthaberisch. Ein Politiker sollte die manchmal feine Linie dazwischen nicht allein seinen Anwalt ziehen lassen. Anwälte sind von Berufs wegen Rabulisten. Das ist ihre Kunst. Und ihr Problem.
Wulff – zwar Jurist, aber kein Anwalt – war bei seinem TV-Auftritt von seinem modischen Transparenzgerede derart berauscht, dass er am Ende noch versprach, er werde alle hunderte Anfragen samt Antworten „gern“ herausgeben, wenn man sie denn haben wolle. Klar will man. Nicht, weil Überraschendes zu erwarten wäre, sondern um zu sehen, ob und wie der Präsident seine Ansprüche an sich einlöst, ob sich aus den Antworten neue Fragen ergeben können.
Es wäre so einfach gewesen. Anwalt Lehr hätte ein Liste gemacht und die Fragesteller gebeten, in die Veröffentlichung einzuwilligen. Wer in angemessener Frist nicht Ja sagt, fliegt raus. Was übrig bleibt, wird ins Netz gestellt. Versprechen erfüllt, Präsident gerettet. Doch Göttin Eris war stärker. Also sprach der Anwalt von seiner Verschwiegenheitspflicht, die mit der Sache fast nichts zu tun hat, und von den Rechten der Journalisten, die er hüten wolle. Auch Unsinn, denn nicht nur der Tagesspiegel, auch viele andere Medien sind selbstverständlich bereit, dass ihre Fragen veröffentlicht werden.
Um Druck auszuüben, haben manche Medien ihre Fragen und Antworten schon veröffentlicht. Doch war das weder nötig noch ratsam. Wulff selbst muss sein Versprechen einlösen, es geht nicht um einen Wettbewerb, wer am transparentesten kann. Es geht nur um ihn.
Was sie begonnen hat, kann sie nicht lassen, die Streitgöttin. Vielleicht lag Homer falsch? Nach einer Woche sind Wulff und sein treuer Advokat zur unvermeidlichen Einsicht gekommen, die Liste zu veröffentlichen. Klingt gut, doch deutet sich schon an, was kommt. Mit dem Seziermesser wird der Anwalt die Rechte Dritter freilegen, die eine Veröffentlichung noch hindern könnten. Und Bedingungen stellen, etwa die, dass die Fragen nur mit Namen und Medien der Journalisten angegeben werden, nicht aber – trotz Einwilligung – ohne diese Hinweise. Es wird weiter ums Rechtbehaltenwollen und Spießumdrehen gehen. Von ihrer kleinen Gestalt wächst Eris zu gigantischer Größe und Schönheit empor, schrieb Homer. Wulff und Lehr könnten sie schrumpfen lassen, wenn sie nur wollten.
Jost Müller-Neuhof