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Eine Therapeutin hält im Hospiz St. Martin in Stuttgart die Hand einer todkranken Bewohnerin.
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Gegen ein Sterbehilfe-Verbot: Es darf keine Pflicht zu Leiden geben

Ein striktes Verbot der Sterbehilfe würde gegen die Menschenwürde und das Gebot der Nächstenliebe verstoßen. Von einer "organisierten" Sterbehilfe ist dennoch abzusehen. Ein Gastkommentar

In diesen Monaten debattieren wir im Parlament über eine Frage, die viele Menschen persönlich tief bewegt: Wie wollen wir sterben? Hier droht ein Kulturkampf um die Deutungshoheit darüber, wie viel Leiden am Lebensende noch als menschenwürdig gelten darf.

Jeder Mensch wünscht sich, in Würde zu sterben. Schmerzfrei, friedlich und im Bewusstsein, sein Leben abgeschlossen zu haben. Zugleich führt die medizinisch ermöglichte Lebensverlängerung zu neuen Herausforderungen in der Behandlung eines krankheitsbedingten Leidens in der Sterbephase. Unsere Verantwortung gebietet es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um kranken Menschen durch die bestmögliche medizinische und menschliche Begleitung ein Ja zum Leben zu ermöglichen.

Dazu gehören für mich insbesondere der Ausbau der Palliativversorgung und des Hospizwesens. Die Palliativmedizin wie auch diese Formen der mitmenschlichen Unterstützung haben für mich Vorrang vor einer ärztlichen Suizidhilfe.

Mir geht es um die Fälle, in denen unheilbar erkrankte Menschen an den Folgen ihrer Erkrankung so stark leiden, dass sowohl die Palliativmedizin wie auch andere Formen der Hinwendung und Unterstützung an Grenzen stoßen. Gebietet unser vom Christentum geprägtes Menschenbild, unerträgliches Leiden am Ende des uns von Gott geschenkten Lebens hinzunehmen? Ich meine, nein! Zu einem menschenwürdigen Leben gehört auch ein menschenwürdiges Sterben. Die biblische Botschaft ist eine positive, sie hofft auf die dauerhafte Abwesenheit von Leid und Schmerz.

Leben und Werk Jesu lehren uns, dass die Nächstenliebe stets Vorrang hat vor einem vom Menschen aufgestellten religiösen Dogma. Gott hat uns als freie Wesen geschaffen, die dazu berufen sind, ihr Leben in eigener Verantwortung und in Verantwortung für den Mitmenschen zu führen. Kern der Menschenwürde ist die Selbstbestimmung. Was Menschen in der Sterbephase zu ertragen noch als würdig empfinden, das kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Ich hielte es für einen Verstoß gegen die Menschenwürde und das Gebot der Nächstenliebe, wenn aus dem Recht auf Schutz des Lebens eine Pflicht zum Leiden würde. Es gibt auch eine Ethik des Helfens.

Für das Verbot einer "organisierten" Sterbehilfe

Zum Schutz der Patienten halte ich es für richtig, die Tätigkeit von Sterbehilfe leistenden Organisationen und von Personen, die eine regelmäßige Sterbehilfe anbieten, zu untersagen. Wie ein unheilbar kranker Mensch sterben möchte, sollte ausschließlich im Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem ihn behandelnden Arzt beantwortet werden. Sollte es zu einem strafrechtlichen Verbot einer "organisierten", beziehungsweise von Einzelnen regelmäßig angebotenen Sterbehilfe kommen, dann muss sichergestellt werden, dass Ärzte, die im Rahmen der Behandlung von unheilbar erkrankten Menschen auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten eine Suizidhilfe leisten, vor einer möglichen Strafverfolgung geschützt werden.

Wesensmerkmal des "Organisationsbegriffs" ist die Wiederholung. Da Ärzte in vielfacher Hinsicht beruflich organisiert sind und ihnen in der Begleitung unheilbar kranker Menschen der Wunsch nach einer Sterbehilfe mehr als nur einmal begegnen kann, bestünde im Fall eines Organisationsverbots künftig die Gefahr der Strafverfolgung. Die Hilfe zum Suizid ist straflos, auch für Ärzte. Dies soll so bleiben. Auch die Ärzte bitten, von einer strafrechtlichen Einschränkung ihrer Berufsausübung abzusehen.

Die Berufsordnungen vieler Ärztekammern sehen allerdings ein Verbot jeder Sterbehilfe vor. Deshalb und um eine Strafverfolgung im Fall eines Verbots der "organisierten" Sterbehilfe zu verhindern, plädiere ich für eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch, die es Ärzten ermöglicht, auf rechtlich sicherer Grundlage der Bitte eines unheilbar kranken Patienten um Hilfe entsprechen zu können. Dadurch schaffen wir Rechtssicherheit für Ärzte und stärken die Patientenautonomie.

Eine ärztliche Suizidhilfe sollte unter folgenden Voraussetzungen möglich sein: Der Patient muss volljährig sein und die Folgen seiner Entscheidung beurteilen können. Ferner muss er an einer organischen, unumkehrbar zum Tode führenden Erkrankung leiden. Damit scheiden Depressionen und andere psychische Erkrankungen aus. Die ärztliche Diagnose muss zur Sicherheit von Arzt und Patient gemäß dem "Vier-Augen-Prinzip" von einem anderen Arzt bestätigt werden. Auch muss der Patient zuvor umfassend über alternative, insbesondere palliativmedizinische Möglichkeiten beraten werden. Selbstverständlich muss die Hilfestellung des Arztes stets freiwillig erfolgen. Ganz entscheidend ist, dass die Tatherrschaft, das heißt die Entscheidung über das konkrete Ob und Wie und die lebensbeendende Handlung, ausschließlich beim Patienten liegt.

Drei Bausteine für einen Konsens

Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft mit unterschiedlichen Wertorientierungen. Der Staat unseres Grundgesetzes ist ein wertneutraler Staat, dem eine Übermoralisierung des Rechts grundsätzlich fremd ist. Daher halte ich eine Regelung, die eine freiwillige ärztliche Hilfestellung ermöglicht, sie jedoch an klar definierte Voraussetzungen knüpft, für am besten geeignet, breite gesellschaftliche Akzeptanz zu finden und für Rechtsfrieden zu sorgen. Aufgrund der schrecklichen Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur besteht in Deutschland eine besonders hohe Sensibilität für den Schutz des Lebens. Dies sollte uns ermutigen, den Ärzten und uns allen eine verantwortliche Entscheidung zuzutrauen.

Peter Hintze, CDU-Politiker und Bundestagsvizepräsident.
Peter Hintze, CDU-Politiker und Bundestagsvizepräsident, spricht am 13.11.2014 im Bundestag zum Thema Sterbehilfe. Der evangelische Theologe Peter Hintze ist für eine ärztliche Suizidhilfe im Rahmen klarer gesetzlicher Regeln und gegen eine organisierte Sterbehilfe.
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Die Debatte zur Sterbehilfe im Bundestag hat gezeigt, dass uns einiges trennt und vieles eint. Mein Wunsch ist, dass wir in der grundlegenden Frage des Sterbens am Ende einen breiten parlamentarischen Konsens erzielen.

Ein Kulturkampf um die Würde des Sterbens würde Gräben aufreißen, wo die Menschen Rechtsfrieden erwarten. Ein Konsens könnte aus drei Teilen bestehen. Erstens in einer Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung für sterbende Menschen. Zweitens in der Untersagung der organisierten Sterbehilfe zum Schutz der Patienten. Und drittens in einer zivilrechtlichen Regelung, die es Ärzten, die dies mit ihrem Gewissen vereinbaren können, erlaubt, unheilbar Kranken Hilfe beim Suizid zu leisten, wenn eine palliative Behandlung nicht infrage kommt. Damit hätte die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung auch eine parlamentarische Mehrheit.

Der evangelische Theologe Peter Hintze ist CDU-Politiker und Bundestagsvizepräsident. Tagesspiegel.de veröffentlicht seinen Beitrag im Rahmen einer Sterbehilfe-Debatte anlässlich der Diskussion über das geplante Gesetz zur Sterbehilfe.

Peter Hintze

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