Kritik an Pofalla-Wechsel in die Wirtschaft: Es braucht Moral und klare Regeln
Der frühere Kanzleramtsminister Ronald Pofalla ist nicht der erste Politiker, der in die Wirtschaft wechselt. Grundsätzlich ist die Durchlässigkeit sogar eine gute Sache, doch es bedarf klarer Regeln, die in Erinnerung rufen, was sich gehört und was nicht. Ein Kommentar.
Die schlimmsten Moralapostel sind jene Menschen, die keiner zu verführen versucht. Wer schon einmal einem unmoralischen Angebot widerstanden hat, ist zweifellos in der Verurteilung jener glaubhafter, die gefehlt haben. Das ist so im menschlichen Miteinander, und das ist so im Wirtschaftsleben und im Graubereich zwischen Politik und Ökonomie. Was sich gehört und was ein Regelverstoß ist, wissen die meisten Menschen ganz genau. Das feine Gespür dafür, wo Grenzen überschritten werden, ist verbreiteter, als Kulturpessimisten uns weismachen wollen.
Ist es anrüchig, wenn der frühere Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in den Vorstand der Deutschen Bahn wechselt und sich dort um Kontakte zur Politik in Berlin und Brüssel kümmert? Spötter sagen: Das macht er bestimmt gut. Klar, wer, wie der 54-jährige Jurist und Bundestagsabgeordnete, mehr oder minder still, aber meistens effektiv, die Kanzlerin vom Alltagskram freigehalten hat, wer für Bahnchef Rüdiger Grube immer ein offenes Ohr hatte, wenn der sich über anstehenden Ärger mit EU-Instanzen beklagte, der ist für diesen Vorstandsposten wie gebacken. Genau deshalb will der Bahnchef ihn ja haben. Wenn der Aufsichtsrat Ja sagt, wird Pofalla sein Millionengehalt sicher wert sein. Ob Pofalla schon zu dem Zeitpunkt, zu dem er der Kanzlerin signalisierte, der neuen Regierungsmannschaft nicht mehr angehören zu wollen, von Grubes möglicher Offerte gewusst hat, können wohl nur die beiden sagen. Und da die Bahn noch ein Staatsunternehmen ist, möchte man geneigt sein, diesen Wechsel als einen Deal im öffentlichen Interesse zu werten.
Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft grundsätzlich gut
Aber Moral ist ein ethisches Kriterium, das nicht nur relative Geltung hat. Wieso sollte bei der Bahn erlaubt sein, was bei Daimler, Gazprom oder Telefonica nicht geht? Als der Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, nahtlos als Cheflobbyist zu Daimler wechselte, war man sich einig: unmöglich. Denn anders als die Diplomaten Wolfgang Ischinger, Harald Braun und Martin Jaeger bei Allianz, Siemens und Daimler, war Klaeden für den neuen Dienstherren nicht etwa wegen seiner Weltläufigkeit und seiner Internationalität interessant, sondern durch seine Vernetzung in die Bundespolitik. Als Gerhard Schröder kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft Aufsichtsratsvorsitzender bei jener Gazprom-Tochter Nord-Stream-AG wurde, deren Geschäft er als Regierungschef unterstützt hatte, spürten außer ihm alle, dass sich das nicht gehört. Folgen hatte eine ähnliche Instinktlosigkeit des deutschen EU- Kommissars Martin Bangemann, der in Brüssel für die Privatisierung der Telekommunikation sorgte und anschließend Vorstandsmitglied des Telefonkonzerns Telefonica sein wollte. Seitdem hat die EU einen Verhaltenskodex und eine Ethikkommission für solche Fälle.
Grundsätzlich ist der Wechsel von der Politik in die Wirtschaft und umgekehrt eine gute Sache und in gewachsenen Demokratien nicht selten. Auch der deutschen Politik würde es guttun, wenn Parlamente und Ministerien weniger von Menschen durchzogen wären, die seit der Schulzeit wussten, dass sie in die Politik gehen wollten und deshalb nie ein anderes Berufsziel hatten. Nicht nur die Zusammensetzung des neuen Bundestages, sondern auch die seiner Vorgänger, krankt und krankte an dieser Professionalisierung der Politik, in der es kaum mehr Menschen mit Erfahrungen in den sogenannten bürgerlichen Berufen gibt.
Es braucht klare Regeln
So erstrebenswert also mehr Durchlässigkeit ist, so entschlossen müssen Regeln gegen Grenzüberschreitungen geschaffen werden. Wer von einem Unternehmen mit dem einzigen Ziel aus der Politik abgeworben wird, diese Politik und ihre Entscheidungen hinterher im Sinne der Firma beeinflussen zu können, muss zwingend Sperr- und Karenzzeiten unterworfen werden. In der freien Wirtschaft ist das von jeher so. Ein Entwicklungschef, der einfach von Daimler zu BMW wechselt, wäre völlig undenkbar. Gerade weil die Verführbarkeit durch das Geld, mit dem die Unternehmen locken, eine Gefahr ist, muss es Regeln geben, die in Erinnerung rufen, was sich gehört und was nicht. Gebote stützen nun einmal die Moral, nicht nur in der Bibel.