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Gedenkort. Die Risiera di San Sabba, einziges deutsches KZ in Italien.
© IMAGO

Deutsche Vergangenheit: Erinnern, ohne zu entschädigen

"Wiedergutmachung" war ein schiefes Wort. Aber ein notwendiger Versuch, das NS-Erbe anzunehmen. Dem sich Deutschland neuerdings entzieht.

Vergangenheit vergeht nicht. Diese Erfahrung konnte auch der Bundespräsident vor Wochen in Griechenland wieder machen. Als ihn sein griechischer Kollege an die Schulden aus der Zeit der NS-Besatzung erinnerte, reagierte Joachim Gauck brüsk. Er werde dazu nichts anderes sagen als seine Regierung. Und die hat längst abgelehnt.

Vergangenheit vergeht vor allem dann nicht, wenn man sich ihr nicht wirklich stellt. Doch das will Deutschland nicht (mehr). Nachdem die Griechen jahrelang auf die deutsche Einheit vertröstet wurden, hieß es nach dem magischen Datum, jetzt sei es zu spät. Anders, aber ähnlich trickreich hat man sich vor 15 Jahren der Ansprüche italienischer Zwangsarbeiter erwehrt. Weil die sogenannten „Militärinternierten“ Soldaten waren, wurden sie schlicht aus der Zuständigkeit der Entschädigungsstiftung herausdefiniert – obwohl sie nicht als Kriegsgefangene, sondern als Zwangsarbeiter behandelt wurden. In beiden Fällen sollen Gedenkprojekte Ersatz schaffen. Billiger kommt das allemal. Auf 70 Milliarden Euro beziffert die Bundesregierung sämtliche NS-relevanten Entschädigungen seit Bestehen der Bundesrepublik. Kommt jetzt der Schlussstrich?

Im Falle Griechenlands und Italiens jedenfalls hat die deutsche Vergangenheitspolitik, die früher einmal – auch schief – Wiedergutmachung hieß, die Richtung gewechselt. Aus „erst entschädigen, dann erinnern“ ist schlicht „erinnern“ geworden – in der Erwartung, dass sich das mit der Entschädigung von selbst erledigen werde. Mit jedem Jahr gibt es weniger Überlebende, die der kollektiven deutschen Erinnerung ihre entgegensetzen könnten. Der seit Jahrhunderten verklärte bis verkitschte deutsche Blick auf den Süden, auf unsere Lieblingsurlaubsländer, will nicht wahrhaben, dass zum Beispiel die deutsche Besetzung Griechenlands die am meisten Menschen und Material verschlingende in Westeuropa war und dass Hitlers italienische Sklaven so brutal geschunden wurden wie Polen, Russen, Tschechen. Die rosaroten deutschen Projektionen sind stärker als diese tiefschwarzen Erfahrungen.

Das historische Gepäck soll leichter werden

Das hat viele Gründe. Nicht zuletzt die politischen Eliten beider Nato-Partnerländer halfen dabei nach Kräften, als sie über Jahrzehnte keinen oder kaum einen Finger für die Opfer unter ihren Landsleuten krumm machten. Entscheidend ist heute aber, dass deren Position in den letzten Jahren noch schwächer geworden ist, denn die europäische Krise hat die Gewichte weiter nach Norden verschoben, vor allem Richtung Deutschland. Das die Chance anscheinend gerne nutzt, sich auch ein wenig von historischem Gepäck zu erleichtern, am besten gleich fürs ganze Jahrhundert. Der Historiker Gerd Krumeich, einer der besten deutschen Kenner des Ersten Weltkriegs, zeigte sich kürzlich öffentlich erstaunt über den Verkaufserfolg seines australischen Kollegen Clark. So gut dessen Buch „Die Schlafwandler“ über die Gründe des großen Krieges auch sei – der Hype darum erkläre sich wohl zuallererst damit, dass es die Deutschen von Verantwortung freispreche. Die Freude darüber reicht anscheinend bis in die hohe Diplomatie: Deutschlands Botschafterin in Paris feierte das Erscheinen der französischen Ausgabe des Buchs im Januar mit einem Petit déjeuner in der Botschaft. In ihrem früheren Amt vertrat sie übrigens Deutschland in jenem Verfahren, dass Italiens NS-Opfern endgültig alle Klagemöglichkeiten nahm.

Deutschland war die größte Schuldensünderin des 20. Jahrhunderts

Im mächtigeren Deutschland vergeht die Vergangenheit nun doch rascher. Ein Glück ist das nicht einmal für Deutschland. Während für deutsche Verbrechen nur noch mit kleiner Münze gezahlt wird, wächst das moralische Gewicht der „Schuldensünden“ – der andern. Und selbstgerechte Mythen wie der vom Wirtschaftswunder, das allein deutscher Fleiß, Verzicht und Erfindergeist bewirkten. Nein, es war vor allem Amerika, das nach 1945 Reparationen unterband. Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl hat Deutschland die größte Schuldensünderin des 20. Jahrhunderts genannt: Die Reparationslasten nach 1918 wurden noch auf Pump finanziert, die nach 1945 erst gar nicht eingefordert. Das Wunder wurde nicht zuletzt durch einen kalten Schuldenschnitt möglich.

„Macht’s wie wir und alles ist gut“ ist deshalb kein guter Rat ans kriselnde Europa. Besser wäre etwas mehr Wissen um Schuld und Schulden. Daraus könnte jene Empathie erwachsen, die Europa dringender braucht als deutsche Selbstgewissheit. Das Jahrhundertgedenken an den Ersten Weltkrieg ist nicht die schlechteste Gelegenheit, sich dessen zu erinnern.

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