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"Apartheid-Regime" in Hebron?: Eine Replik auf Sigmar Gabriel

Mit seinen Äußerungen über das israelische "Apartheid-Regime" in Hebron hat SPD-Chef Gabriel für Entrüstung gesorgt. Unsere Gastautorin Stefanie Galla war vor kurzem ebenfalls in der Stadt - und nahm völlig andere Eindrücke mit.

"Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt."

Mit diesem Eintrag auf seiner Facebook-Seite hat Sigmar Gabriel eine neue Debatte über die israelische Besatzung des Westjordanlands losgetreten. Für seine Äußerungen erntete der SPD-Chef prompt heftige Kritik, aber auch breite Unterstützung.

"Das Hebron, das ich erlebt habe, ist ein anderes", entgegnet unsere Gastautorin Stefanie Galla in ihrer Replik. Die Rechtsanwältin aus Köln machte Ende 2011 auf einer Urlaubsreise selbst Halt in der Stadt. Dort sei die Situation nicht so einseitig, wie Gabriel sie darstelle, gibt Galla zu bedenken. Sie weiß aber auch: "Es ist sehr schwer, in Hebron einen neutralen Blick zu bewahren." Auf Tagesspiegel.de können Sie ihren Reisebericht lesen - "ein privater, kein politischer Bericht", wie Galla betont.

Alles Ansichtssache

Am 31. Dezember 2011 war ich in Hebron. Das war ein Samstag, und die German Colony, ein lebhaftes Viertel in Jerusalem, war wegen des Sabbats wie ausgestorben. Kurz entschlossen nahm ich den arabischen Bus nach Bethlehem, um dort einen Kaffee am Platz vor der Geburtskirche zu trinken. Die arabischen Busse fahren auch an Sabbat.

Die Sonne schien, es war kaum ein Wölkchen am Himmel, circa 20 Grad warm, und so erschien mir der überladen geschmückte Weihnachtsbaum auf dem Platz in Bethlehem surreal. Der Baum war derart kitschig geschmückt, dass er mir schon wieder gefiel. Ich bekam mit, wie andere eine Weiterfahrt nach Hebron planten und dachte mir, das könnte ich auch machen. Eigentlich wollte ich zwei Tage später mit einem Freund nach Hebron. Da ich nun aber schon auf halber Strecke war, entschied ich mich, jetzt gleich dorthin zu fahren. Die Strecke von Bethlehem nach Hebron ist landschaftlich ein Genuss. Man bekommt ein Spiel der Farben geboten und so lohnt sich allein schon die Fahrt.

Ein "Apartheid-Regime" hat Stefanie Galla in Hebron nach eigener Aussage nicht gesehen.
Ein "Apartheid-Regime" hat Stefanie Galla in Hebron nach eigener Aussage nicht gesehen.
© Stefanie Galla

Da ich spontan zu meinem ersten Besuch in Hebron aufgebrochen war, hatte ich mich nicht vorbereitet. So ließ ich mich dann dort einfach nur treiben. Von der Busstation ging ich die Hauptverkehrsstraße in Richtung Altstadt. Auf der Straße kam ich an einigen Grüppchen mit arabischen Polizisten vorbei. Leider konnten diese kein Englisch, waren aber eifrig bemüht, jemanden zu finden, der mich verstand und mir beschreiben konnte, wie genau ich zur Abraham-Moschee laufen musste. Es ist auffallend in den palästinensischen Gebieten, wie schnell man mit den Menschen in Kontakt kommt. Es findet sich auch immer jemand, der Englisch kann. Es dauert nicht lange und man ist beim Thema Politik beziehungsweise bei der empfundenen Unterdrückung der Araber durch Israel.

So war es auch in der Altstadt. Es kam direkt ein Händler, der mich zu den Fangnetzen gegen den Müll der jüdischen Nachbarn führte. Ich war erstaunt, wie kurz nur die Strecke ist, an der die Fangnetze angebracht sind. Ich dachte anhand der Berichte aus den Medien hier, das müssten mindestens fünf Kilometer sein. Es waren aber vermutlich nicht einmal hundert Meter. Vereinzelt lag Müll im Netz. Eine Dose, einige Tüten und das war es.

Weil die Grenze zwischen arabischem und jüdischem Viertel in der Altstadt so überschaubar ist, fragte ich mich, wie groß oder klein das jüdische Viertel überhaupt ist. Kurz vor der Altstadt hatte ich ein militärisch gesichertes Gebäude gesehen, das von beeindruckender Größe war. Hier begann das jüdische Viertel. Das waren nur einige hundert Meter von dem Punkt, an dem ich in der Altstadtgasse stand. Und nicht einmal genau so weit in die andere Richtung endet auch schon das Viertel der Israelis. Es erschien mir wie ein sehr kleines Areal.

Zurück in Jerusalem guckte ich mir die Zahlen im Internet an. Es leben knapp 170.000 Menschen in Hebron, davon je nach Quelle 400-800 Juden in der Altstadt. Diese Zahlen geben den Eindruck wieder, den ich von den räumlichen Verhältnissen dort hatte. Eine kleine Enklave, abgeschirmt durch hohe Mauern und Stacheldraht, in dieser mittelgroßen Stadt.

Ein Ghetto schließt aus. Hier aber haben sich Juden eingeschlossen.

Nachdem ich das übliche Gespräch über die Besatzung durch die Israelis mit dem Händler geführt hatte, mir dieser jedes Stück Müll in den Fangnetzen gezeigt hatte, damit ich es fotografieren kann, um zu Hause zeigen zu können, wie man mit den Arabern umginge, nahm ich die letzten Meter zur Abraham-Moschee. Dort wurde mir gesagt, ich könne da jetzt nicht rein, da Gebet sei. Später wurde mir von anderen gesagt, um die Zeit würden dort keine Gebete stattfinden. Ich weiß nicht, was stimmt. In Jerusalem hat man als touristischer Nichtmoslem keine Chance in die al-Aqsa-Moschee reinzukommen. Selbst auf den Platz davor kommt man nur zu bestimmten Zeiten.

Von Hebron ist mir bekannt, dass Touristen ohne Schwierigkeiten in die Abraham-Moschee dürfen. Mich ließ man nicht rein - ob aus einem vorgeschoben Grund oder nicht, das kann ich nicht beurteilen. Da meine Erfahrungen aber die sind, dass man als Tourist in den palästinensischen Gebieten umgarnt wird, gehe ich davon aus, dass tatsächlich ein Gebet stattfand. Beim nächsten Mal in Hebron werde ich es einfach noch einmal versuchen.

Dass das jüdische Abrahams-Grab wegen Sabbat für Touristen nicht zugänglich ist, wusste ich. So schlenderte ich einfach nur in die Richtung des Grabes, weil ich mir das jüdische Viertel angucken wollte. Dort passierte ich ohne irgendwelche Nachfragen einen israelischen Posten. Rechts lag das jüdische Viertel, und links sah ich zerstörte Häuser. Ich fragte mich, was es mit diesen Häusern auf sich hat und ging den kleinen Hügel hinauf, um mir das näher anzuschauen. Es war gespenstisch. Wie eine Geisterstadt. Menschenleer.

Plötzlich sah ich zwei Männer, die sich unterhielten. Wenig später sprach mich der eine der beiden an, während der andere etwas zurück blieb. Derjenige, der mich ansprach, war geistig beeinträchtigt, wie man an der Mimik und der Gestik sah. Er konnte dennoch ein paar Brocken Englisch. Zunächst war ich noch ganz unbedarft. Dann wurde der Mann aggressiv, während der andere wenige Meter entfernt das Ganze beobachtete ohne einzuschreiten. Ich bekam Angst.

Es war niemand sonst zu sehen und ich stand allein zwischen den zerfallenen Häusern mit den beiden Männern. Während der eine immer aggressiver auf mich einredete, sah ich aus dem Augenwinkel einen israelischen Soldaten um die Ecke kommen. Meine Erleichterung muss sich in meinen Augen widergespiegelt haben, denn beide Männer guckten reflexartig in die Richtung des Soldaten und rannten sofort weg. Wie sich herausstellte, war mir der Soldat bewusst gefolgt, um mich schützen zu können.

Ich ging zurück, bedankte mich bei den Soldaten und betrat das jüdische Viertel. Dort empfand ich es als sehr deprimierend. Die Straßen, welche aus dem Viertel führten, waren versperrt mit Mauern. Die ganze Grenze zum arabischen Teil ist abgesichert mit Mauern und Stacheldraht. An den wenigen Mauern, an denen es Durchgänge zum arabischen Teil der Stadt gab, hingen Schilder mit der Aufschrift: "Juden ist der Durchgang verboten." Ghetto ist hier der falsche Begriff. Ein Ghetto schließt aus. Hier aber haben sich Juden eingeschlossen. Dennoch fällt mir kein anderer Begriff ein, der die Situation der Juden dort beschreiben könnte. Zumal der Einschluss nur bedingt freiwillig ist, da es in der Tat gefährlich für Juden ist, ihr Viertel zu verlassen.

Nach meinem Erlebnis mit den beiden Männern und der für mich deprimierenden Stimmung hinter den Mauern und dem Stacheldraht des jüdischen Viertels wollte ich zurück nach Jerusalem. Ich ging zu einem der Ausgänge, welcher von einem israelischen Soldaten bewacht wurde. Er guckte kurz auf, nickte, um mich passieren zu lassen und rief mir nach: "Sei vorsichtig!"

Ich ging zurück zum Busbahnhof. Die Araber im Bus waren direkt behilflich, als sie merkten, dass ich nicht genau weiß, wo wir in Bethlehem ankommen werden und wie ich dann zu dem Bus nach Jerusalem finde. Ein junger Mann erklärte, er würde mich zu der Bushaltestelle bringen und machte das dann auch. Auf der Fahrt nach Bethlehem war noch jemand im Bus, der nicht arabisch aussah. Eine Frau, etwa mein Alter, aus Schweden, die für eine Hilfsorganisation arbeitete. Am Checkpoint sagte sie, es sei selten, dass alle aus dem Bus zur Kontrolle aussteigen müssten. Sie tippte darauf, dass die eine Hälfte kontrolliert werde und die andere einfach wieder so in den Bus dürfe. So kam es dann auch und das ganze Prozedere dauerte keine fünf Minuten.

Benjamin Netanjahu hat während seiner ersten Amtszeit als israelischer Ministerpräsident die Stadt Hebron der Palästinensischen Autonomiebehörde übergeben. Für das jüdische Viertel sind die Israelis weiter zuständig. Die arabischen Teile von Hebron sind nicht mehr unter israelischer Kontrolle.

Stefanie Galla ist Rechtsanwältin in Köln und bloggt für http://www.transatlantic-forum.org.

Stefanie Galla

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