Populismus: Ein Plädoyer für den Gutmenschen
"Gutmensch" wurde zum "Unwort des Jahres 2015" gewählt. 2009 erregte dieser Gastkommentar unseres Lesers Josef Mairinger, den wir aus aktuellem Anlass erneut publizieren, große Resonanz.
Der nachfolgende Text wurde 2009 speziell aus österreichischer Sicht geschrieben. Neben sicherlich allgemein gültigen Aussagen sind die Passagen über das Ausländerproblem und die Rolle, die die "Kronen-Zeitung" dabei spielt im Lichte dessen zu sehen.
So mancher von uns wurde wohl schon einmal als „Gutmensch“ belächelt oder gar angefeindet. Unbelehrbarer Weltverbesserer sei man. Einen Gesinnungsterror übe man auf die so genannten Realisten aus. Nichts als weltfremde, noch dazu linke Ideologie. Die Verachtung, die das Wort ausdrückt und die Geläufigkeit, mit der es sich in der Alltagssprache niedergelassen hat, legen den Verdacht nahe: Als gut gilt jetzt ungut und humanistisches Denken ist Schnee von gestern.
Unweigerlich muss man nämlich den Eindruck bekommen, dass diejenigen, die sich für eine gerechtere Welt, den Ausgleich der Interessensgegensätze oder für die unantastbare Würde jedes Menschen einsetzen eine Bedrohung unserer lieb gewordenen Ordnung darstellen. Natürlich ist es nicht angenehm, mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert zu werden. Man hört halt nicht gerne, dass unser Wohlstand die Armut der Dritten Welt zumindest teilweise bedingt. Aber muss man deswegen positive Ansätze für z. B. mehr Verteilungsgerechtigkeit gleich ins Lächerliche ziehen und damit von Vornherein als unrealistisch abtun? Fakt ist, dass man die Welt sehr wohl verbessern kann, ohne dass man an die Verwirklichung des Paradieses auf Erden glauben muss. Manche der Ungerechtigkeiten sind leichter zu bekämpfen, manche schwerer. Die entscheidende Frage dabei ist, ob man Veränderungen überhaupt will und ob nicht Bequemlichkeit, Gier oder sonstige Egoismen selbst leicht zu setzende Maßnahmen verhindern.
Ein Hauptmotiv für diese Trägheit liegt im Unwillen die eigene Lebensführung zu hinterfragen. Man ahnt die Gefahr für die angeblich so wohl erworbenen Rechte. Eine nähere Betrachtung könnte ja ergeben, dass der materielle Überfluss nicht ausschließlich überdurchschnittlicher Leistung geschuldet ist. Genau so wenig wie eben die Armut der Dritten Welt hauptsächlich der Minderleistung ihrer Bevölkerung zuzuschreiben sein wird. Dass die einfache aber nicht so wohltuende Wahrheit zutage tritt, die da heißt, dass vieles einfach nur Glück und weitgehend vom Geburtsort abhängig ist. Das hören „die Fleißigen und Tüchtigen“ natürlich nicht so gern. Am selbstgerechten Mythos unserer Überlegenheit darf nicht gekratzt werden. Gutmenschen tun aber genau das. Sie sind lästig und machen - zumindest manchmal - ein schlechtes Gewissen. Zur Aufrechterhaltung des Status quo ist daher jede noch so billige Ausrede bzw. Herabwürdigung von Andersdenkenden gerade Recht.
Beispiel Migration
Dabei ist es allzu verständlich und legitim, dass wir um unseren Wohlstand bangen und ihn nicht aufgeben wollen. Wir haben alle nur ein Leben und jeder versucht das Beste daraus zu machen. Warum aber können wir nicht zumindest Verständnis für all jene aufbringen, die der blanken Not und dem Elend entkommen wollen, anstatt ihnen hasserfüllt die Plünderung unserer Sozialtöpfe zu unterstellen? Natürlich muss die Zuwanderung beschränkt werden. Aber wenigstens Leid sollten uns die vom Wohlstand Ausgeschlossenen tun. Der Ton macht auch hier die Musik. Dann würde sich wohl auch ein Nachdenken darüber einstellen, was passieren muss, dass diese Wirtschaftsflüchtlinge zuhause lebensfähige und menschenwürdige Perspektiven vorfinden, womit ihnen das verzweifelte Umherirren in der Welt erspart bliebe. Kein Mensch nimmt diese Strapazen aus Jux und Tollerei auf sich.
Die so genannten Realisten haben inzwischen die Meinungshoheit und dröhnen mittlerweile von allen Seiten. So laut, dass man gar nichts anderes mehr hört als „Kriminalität, Asylmissbrauch und Sozialschmarotzer“. „Kampf der Überfremdung“ ertönt es von den Stammtischen und den sonstigen Diskussionsforen. Alle Parteien, mit Ausnahme einer Kleinpartei, stimmen in diesen Chor ein. Besonders hervor tut sich neben einer einschlägig bekannten Partei dabei ein Boulevardblatt, dass von einem 88-jährigen Greis geführt wird, der nicht nur seinen Journalisten sondern auch 3 Millionen Lesern täglich seine Sicht der Welt erklärt. Um die Leute ja nicht zu überfordern, konzentriert man sich auf zwei Themen: Gegen "die Ausländer" und "die EU". Eine extrem einseitige Berichterstattung suggeriert dabei der Bevölkerung erfolgreich: Asylwerber = Krimineller.
Für eine ausgewogene Diskussion bleibt in diesem aufgeheizten Klima kein Platz mehr. Asylwerber, Saisonarbeiter, eingebürgerte Zuwanderer und die unsäglichen Ostbanden werden alle pauschal unter „die Ausländer“ eingeordnet. Daraus folgt dann das wenig differenzierende „Ausländerproblem“ mit der obigen Gleichung. „Die Ausländer“ stehen somit in weiten Teilen der einheimischen Bevölkerung unter Generalverdacht.
All jene, die diese negative Stimmungsmache kritisieren und intelligente Lösungsansätze in Richtung verstärkter Integrationsbemühungen anstelle einer ständigen Verschärfung der Fremdengesetze einfordern, werden als Sozialromantiker denunziert. Sich hierzulande für die Menschenrechte einzusetzen, genügt um als links, Linkslinker oder abwertend eben als Gutmensch eingestuft zu werden. Ein Totschlagargument, das seine beabsichtigte Wirkung garantiert nicht verfehlt. Als die üblichen Verdächtigen werden Künstler, Linkskatholiken, Intellektuelle etc. gebrandmarkt: Träumer und Spinner eben.
Fremdenfeindliche Stimmung fördert die Ab- und Ausgrenzung
Dabei geht es inzwischen um eine einfache Wahrheit. Die hier legal lebenden „Ausländer“ werden schlicht und einfach im Land bleiben. Da können Politiker vom rechten Rand noch so laut schreien und weiter versuchen die Menschen für dumm zu verkaufen. Es ist höchste Zeit, sich von der immer noch bestehenden naiven Sehnsucht, die Arbeitsmigration könne rückabgewickelt werden, endgültig zu verabschieden. Wir sind zu einem Zusammenleben auf Dauer gezwungen. Das Ausländerproblem löst sich nicht durch das ständige Verschärfen der Fremdengesetze sondern nur durch eine erfolgreiche Integrationspolitik. So wie konservative Kreise mehr und mehr zur Kenntnis nehmen (müssen), dass wir ein Einwanderungsland sind, muss sich die Linke dabei aber vom Traum eines quasi automatisch funktionierenden Multikulturalismus verabschieden.
Die politischen Hardliner behaupten nun, dass eine Integration mangels Willen einfach nicht funktioniert. Dabei vergessen sie aber wohlweislich zu erwähnen, dass die von ihnen mitverursachte fremdenfeindliche Stimmung die Ab- und Ausgrenzung fördert, was wiederum die Entstehung von Parallelgesellschaften begünstigt. Die Partei die am Meisten dazu beiträgt, beklagt sich dann empört über den mangelnden Integrationswillen. Ein Musterbeispiel für eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und zugleich ein Zynismus der Extraklasse. Wer verrät hier eigentlich die eigene Bevölkerung: Die als „Inländerfeinde“ diffamierten Gutmenschen oder diese Hetzer? Diesem Populismus gehört endlich entschieden der Kampf angesagt. Mit repressiven Maßnahmen (Druck, Strafen etc.) alleine wird man das Problem sicher nicht lösen. Integration erfordert ein Aufeinanderzugehen mit Einsicht und Verständnis auf beiden Seiten. Daher ist ein eigenes Integrationsministerium geradezu ein Gebot der Stunde. Neben den praktischen Gestaltungsmöglichkeiten wäre es ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für die betroffenen Menschen. Von der gerade noch Duldung zu einem freundlichen „Willkommen“.
Der Gutmensch als geschichtspolitischer Faktor
Dabei können diese Strukturkonservativen noch so viel Spott und Hohn vergießen. Ein Blick zurück müsste auch sie eines Besseren belehren. Die Geschichte der Freiheit von der Versklavung durch willkürliche Herrscher bis zur Garantie der universellen, unteilbaren Menschenrechte, bis zur Gleichstellung vor dem Gesetz, bei gleichzeitiger sozialer Absicherung durch die Allgemeinheit, ist geprägt von Persönlichkeiten, die trotz aller beharrender Kräfte an eine bessere und gerechtere Welt geglaubt haben. Den Gutmenschen der Vergangenheit haben wir unsere im historischen Vergleich einzigartige Freiheit des Individuums zu verdanken.
Der vielleicht bedeutendste Gutmensch überhaupt ist Jesus Christus. Auch wenn sich die konservativen Kreise einer dogmatisch agierenden Kirche nicht mehr so wirklich daran erinnern wollen. Die Übertragung des Ideals der christlichen Nächstenliebe in die Praxis lässt viele Mitmenschen (auch Christen) die Grausbirnen aufsteigen. Jene, die sie daran erinnern, werden zu ihrem Feindbild. Man wehrt sich gegen die Einsicht, dass die privilegierenden gesellschaftlichen Zustände nicht in Stein gemeißelt sind und bei gutem Willen sehr wohl im ethisch-moralischen Sinne verbessert werden können.
Letztendlich bedarf es für eine kontinuierliche Weiterentwicklung einer Gesellschaft sowohl progressiver als auch konservativer Kräfte. Die Einen müssen für die notwendigen „Anstöße“ sorgen, während die Anderen durch ihr bremsendes Wirken die Verträglichkeit für alle gesellschaftlichen Schichten herstellen. Denn manchmal will der Gutmensch zuviel des Guten und das auch noch sofort. Hier wird dann zu Recht das konservative, bewahrende Element gefordert sein. Wie in der Politik allgemein, handelt es sich auch hier um "das Bohren tiefer Bretter". Die Frage ist nicht ob, sondern wie schnell sich die Gesellschaft verändert.
Übrigens: Erstmals findet sich das Wort Gutmensch als Bezeichnung für die Anhänger von Kardinal Graf Galen, die gegen die Vernichtung lebensunwerten Lebens, also die Tötung körperlich und geistig Behinderter durch die Nationalsozialisten gekämpft haben. Nicht klar ist, ob der Begriff von Josef Goebbels oder Redakteuren des Stürmers 1941 ersonnen worden ist, was aber bei einer Wahl zwischen Pest und Cholera ohnehin ohne Belang ist.
Nicht nur deshalb sollte man gelassen reagieren, wenn man als Gutmensch belächelt wird. Im Grunde ist es eine Auszeichnung und allemal besser als die Etikettierung "Schlechtmensch". Gut gemeint ist zwar noch nicht gut gemacht, aber immerhin die Voraussetzung dafür. Lassen wir uns daher nicht beirren. Nicht das zynische Diktum von der "Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch" sondern Johann Wolfgang von Goethes "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", sollte uns dabei Vorbild sein.
Josef Mairinger
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