Nahost-Gespräche: Die Welt wird nicht am Jordan gerettet
Was ist heute der wichtigste Krisenherd im Nahen Osten? Der in Syrien, in Ägypten, im Iran? Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern jedenfalls ist nur noch einer unter vielen in der Region.
Vor sieben Jahren noch konnte der französische Philosoph André Glucksmann das politische Jerusalem-Syndrom beklagen: „Ein immer gleiches Drehbuch geistert durch die Hirne des 21. Jahrhunderts. Es behauptet, dass alles sich an den Ufern des Jordan entscheidet. In seiner harten Version liest es sich so: Solange sich vier Millionen Israelis und genauso viele Palästinenser gegenüberstehen, sind 300 Millionen Araber und anderthalb Milliarden Muslime dazu verdammt, in Hass, Blut und Verzweiflung zu leben. Und die rosige Fassung: Wir brauchen nur einen Frieden in Jerusalem, schon erlöschen die Feuer in Teheran, Karachi, Khartoum und Bagdad und weichen universeller Eintracht.“
Mehr Arabellion, weniger Israel
Es ist auch ein Erfolg der arabischen Revolutionen, dass inzwischen weltweit immer weniger unter dem Jerusalem-Syndrom leiden. Die Lage in der Region ist schließlich in den vergangenen Jahren dafür zu komplex geworden. Früher war klar, was der Nahost- Konflikt ist und wie die Rollen verteilt sind. Was ist heute der wichtigste Konflikt im Nahen Osten? Der in Syrien, in Ägypten, im Iran? Wenn das ägyptische Militär auf offener Straße Anhänger der Muslimbrüderschaft erschießt, wenn sich in Syrien Sunniten und Schiiten in einem Bürgerkrieg massakrieren, rückt der israelisch-palästinensische Konflikt verständlicherweise in den Hintergrund. Die Arabellion hat die inneren Interessenkonflikte von Israels Nachbarländern zu deutlich werden lassen, als dass das Feindbild Israel diese weiter verdecken könnte.
Ohne welthistorische Bürde
Die Erkenntnis, dass die Welt nicht am Jordan gerettet wird, befreit den israelisch-palästinensischen Konflikt von einer welthistorischen Bürde. Vor ein paar Jahren wären noch Tausende in der ganzen arabischen Welt auf die Straße gegangen, um die Freilassung von hundert palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen zu feiern. Für diese Art von Solidarität haben die meisten Syrer und Ägypter im Moment keine Zeit. Zugleich hat das Scheitern der Muslimbrüder in Ägypten das politische Kräfteverhältnis in der Region wieder ausgeglichen. Israel ist nicht mehr in der politischen Defensive, in die das Land durch die Umbrüche geraten war.
Die Zeiten sind nüchtern
So kommt der erneute Versuch der Amerikaner, Israelis und Palästinenser zu Verhandlungen zu bewegen, in einem passenden Moment. Die Zeiten sind nüchterne, keine hysterischen mehr. Dass die Welt inzwischen etwas weniger gebannt auf Israelis und Palästinenser blickt, vergrößert den politischen Spielraum für Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas – zugleich verringert es jedoch den Druck auf beide, ernsthaft zu verhandeln. Auch ein Scheitern würde, angesichts der Lage in Ägypten und Syrien, weniger ins Gewicht fallen. Sie haben es damit selbst in der Hand – möglicherweise mehr als je zuvor.
Umgekehrt heißt das Ende des Jerusalem-Syndroms aber auch: Selbst eine Lösung des alten Nahostkonflikts würde an den neuen nichts ändern. Vielleicht widmen sich ja die Amerikaner deshalb so energisch dem vertrauten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern: weil ihnen die dramatischen anderen in der Region noch unlösbarer erscheinen.
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