Bürger unzufrieden: Tiefschlag für Berliner Verwaltung
In einer deutschlandweiten Vergleichsstudie belegt die Berliner Verwaltung in allen Kategorien den letzten Platz. Auch wenn es vereinzelte Hoffnungsschimmer gibt, sind schnelle Verbesserungen unwahrscheinlich. Dafür fehlt Personal und Geld.
Berlin hat einen neuen Rekord aufgestellt: Nirgends sind die Bürger so unzufrieden mit ihrer Verwaltung wie hier. In einem Vergleich der 15 größten deutschen Städte für das Magazin „Focus Money“ belegte die Hauptstadt in allen sechs Hauptkategorien den letzten Platz – und das gleichermaßen bei Familien, Senioren und Singles mit ihren naturgemäß unterschiedlichen Erwartungen.
Die genauere Betrachtung des vom Kölner Institut „Service Value“ erstellten Rankings zeigt, dass Berlin in keinem Bereich auch nur den Durchschnitt der untersuchten Städte erreicht. Bei städtischem Kultur- und Freizeitangebot, öffentlichem Nahverkehr, Müllabfuhr, Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen liegt die Hauptstadt zumindest nicht völlig abgeschlagen. Ganz finster sieht es dagegen bei öffentlicher Ordnung und Sicherheit sowie dem Umgang der Verwaltung mit Beschwerden aus. „Der Bürger erwartet schlichtweg mehr von seiner Verwaltung, als sie bis dato zu leisten imstande ist“, resümiert Service-Value-Geschäftsführer Claus Dethloff gegenüber dem Tagesspiegel. Da dieser Eindruck der Bürger durchaus subjektiv sein könne, müsse die Verwaltung möglicherweise einfach mehr für ihre Angebote und Erfolge trommeln – etwa für die telefonische Terminvergabe statt stundenlanger Warterei im Bürgeramt oder die in manchen Ämtern inzwischen üblichen Samstagsöffnungen. Das der angeblich Berlin typische Hang zum Meckern die Hauptstadt zurückgeworfen habe, glaubt der Meinungsforscher nicht: Zwar führt Düsseldorf die Liste klar an, aber auf dem vorletzten Platz ist mit Köln ebenfalls eine Stadt aus dem Einzugsgebiet des rheinischen Frohsinns gelandet.
Tatsächlich beruht der Vergleich nicht auf objektiven Kriterien wie Wartezeiten oder Kosten, sondern auf einer Befragung von Bürgern. Die ist laut Dethloff repräsentativ, obwohl von bundesweit 2806 Befragten nur 238 Berliner waren – also rechnerisch kaum 20 pro Bezirk. Dethloff betont, dass die Befragung wenige Tage vor der Verschiebung der Flughafeneröffnung abgeschlossen worden sei, also nicht unter dem Eindruck dieser Blamage gestanden habe.
Dennoch ist die Studie – wie alle anderen auch – aus Sicht des Verwaltungsexperten Christoph Reichard mit Vorsicht zu genießen. Der Professor der Uni Potsdam und jahrzehntelange Kenner der Berliner Behörden betont, dass ein „Stammtisch-Ergebnis“ immer schlechter ausfalle als eine konkrete Fallanalyse. Im Klartext: Wenn Menschen staatliche Stellen allgemein beurteilen sollen, meckern sie eher, als wenn man sie bei einer konkreten Erledigung direkt im Bürgeramt abpassen würde. Auch „überlagert der Skandal bei der S-Bahn die relativ gute Performance der BVG“. Allerdings beträfen solche Phänomene auch Städte, die besser abgeschnitten haben.
Die Grünen: „Ohrfeige für Wowereits Senat“
Doch Reichard sieht spezielle Berliner Defizite: „Es ist in Berlin nie richtig gelungen, die Kompetenzen zwischen Senats- und Bezirksverwaltungen scharf abzugrenzen. Und beim Personalabbau der vergangenen 20 Jahre sind die Bezirke stärker gebeutelt worden als die Hauptverwaltung.“ Die dünn gewordene Personaldecke komme zusammen mit einer Berlin typischen „Überbürokratisierung“. Als Beispiel nennt Reichard die im Bundesvergleich konkurrenzlos langen Wartezeiten für Schwerbehindertenausweise, über die der Tagesspiegel am Montag berichtet hatte. Unerfreulich sei auch die Kita-Suche, für die sich Eltern in Berlin auf zahlreiche und völlig unberechenbare Wartelisten setzen lassen müssten. In anderen Städten gebe es zentrale Anmeldelisten, in denen zusätzliche Optionen wie der gewünschte Kiez gewählt werden könnten. Das spare Eltern und Kitas viele Scherereien.
Die Innenverwaltung äußerte sich auf Anfrage nicht zu der Erhebung. Die Grünen sprachen von einer „Ohrfeige für Wowereits Senat“. Joachim Jetschmann, Landesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes (DBB), beklagt, dass weder der alte noch der neue Innensenator oder der Regierungschef bereit seien, mit seiner Gewerkschaft über langfristige Konzepte zu reden. Zwar wolle der Senat im Oktober das Projekt „Service Stadt 2016“ für mehr Bürgerfreundlichkeit vorstellen, aber angesichts der Personalkürzungen und der absehbaren Pensionierungswelle seien Erfolge schwer erreichbar.
In der rot-schwarzen Koalitionsvereinbarung steht außer einem „Anspruch“ von Bürgern und Unternehmen auf eine schlanke, effiziente und bürgernahe Verwaltung sowie einem jährlichen Personalabbau von 1,3 Prozent in den Bezirksämtern wenig Konkretes. Umso genauer weiß dafür der Lichtenberger Stadtrat Andreas Prüfer (Linke), was ihm blüht: 274 Mitarbeiter müsse der Bezirk bis 2016 einsparen. Das seien 16 Prozent. Er würde gern die vier verbliebenen Bürgerämter – es waren mal fünf – erhalten, „aber mit dieser Personalsituation weiß ich nicht, wie“. Viel mehr Automatisierung sei nicht machbar, so dass sich wohl auch die Bürger den neuen Verhältnissen anpassen müssten – und beispielsweise vier Wochen Vorlauf für einen Termin einplanen. Da der Durchschnittsbürger weniger als zwei Mal pro Jahr ins Bürgeramt komme und beispielsweise ein Personalausweis zehn Jahre gilt, sei die Wartefrist weniger schlimm, als sie scheine.
Stefan Jacobs