Debatte um Pädophilie: Die Grünen und ihre Opferrolle
Von Seiten vieler Grüner wird nun emsig versucht, den Skandal um ihre Partei zu entmoralisieren. Aber das macht ihn nur größer. Die oftmals insbesondere von Grünen eingeforderte Verpflichtung zur Aufklärung sollte auch dann gelten, wenn sie selbst von einer Affäre betroffen sind und gerade Wahlkampf ist.
Es gibt keinen einvernehmlichen Sex mit Kindern. Es gab ihn nie und wird ihn nie geben. Dieses Faktum schafft keine Ausrede aus der Welt. Weder die Berufung auf den Zeitgeist noch das vor 35 Jahren angeblich fehlende empirische Material. Weder der Hinweis auf damalige politische Unbekümmertheit noch der Fingerzeig auf andere Sünder, die etwa zum Thema Vergewaltigung in der Ehe viel zu lange das Falsche predigten.
Im Gegenteil. Die Melange aus Bagatellisierung und Relativierung, mit der von Seiten vieler Grüner nun emsig versucht wird, den Skandal um ihre Partei zu entmoralisieren, macht ihn nur größer.
Wie verstrickt waren die Grünen? Wie stark geprägt wurden sie von ihrer eigenen Geschichte? Wenn jetzt im Tonfall pathetischer Entrüstung behauptet wird, das Thema tauge nicht für den Wahlkampf, werde gar instrumentalisiert, ist das schon dreist. Wie bitte? Der Wähler soll nicht wissen, diskutieren und diskutiert sehen dürfen, welcher Spitzenpolitiker, der im Parlament und womöglich am Kabinettstisch sitzt, sich einmal für die Straffreiheit von Pädophilie einsetzte? Sind Positionen zu Steuererhöhungen, Mindestlöhnen und der Energiewende aussagekräftiger als Einblicke in den frühen politischen Charakter?
Täter schlüpfen in Deutschland gerne in die Opferrolle
Nun schlüpfen Täter in Deutschland ja traditionell gerne in die Opferrolle. Aber hätte man in vergangenen Wahlkämpfen ebenfalls nicht über Hans Karl Filbinger bei den Nazis oder Wolfgang Schnur bei der Stasi reden dürfen? Gewiss, solche Vergleiche sind monströs. Doch gerade deshalb könnten sie hilfreich sein, den Appell an die Universalität gewisser Maßstäbe verständlich zu machen. Die oftmals insbesondere von Grünen eingeforderte Verpflichtung zu Aufklärung, Aufarbeitung und öffentlicher Debatte sollte nicht dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sie selbst von einer Affäre betroffen sind und gerade Wahlkampf ist.
Was sind diese Maßstäbe? Eine schlüssige Antwort darauf zu geben, wird zunehmend schwieriger. Wenn ein Politiker vor drei Jahrzehnten Teile seiner Doktorarbeit plagiiert hat, dann muss er zurücktreten. Da ist es einerlei, ob er oder sie dies längst bereut, sich gewandelt oder gar geläutert hat. Ganz schlimm ist in solchen Fällen – wie auch bei Bundespräsidenten, die sich vor ihrer Amtszeit von Filmproduzenten ins Restaurant haben einladen lassen, für deren Belange sie sich angeblich einsetzten – die Salamitaktik. Immer nur das zugeben, was ohnehin bekannt gemacht wird – das geht gar nicht.
Jürgen Trittin wartete ab, bis alles ans Licht kam
Und Pädophilie? Was die Öffentlichkeit jetzt über Jürgen Trittins Aktivitäten in Göttingen erfährt, hat er nicht selbst freiwillig erzählt, sondern abgewartet, ob es herauskommt. Volker Beck wiederum hatte stets behauptet, ein Buchbeitrag von ihm zur Entkriminalisierung der Pädosexualität aus dem Jahr 1988 (!) sei vom Herausgeber inhaltlich entscheidend verfälscht worden. Das entpuppt sich nun, da das Originalmanuskript aufgetaucht ist, als Lüge.
Katrin Göring-Eckardt wiederum lässt während der Spitzenkandidatur zwar ihre hohen Ämter in der evangelischen Kirche ruhen. Dennoch wird sie als gläubige und engagierte Christin wahrgenommen. Die Partei indes verlangt von der gebürtigen Ostdeutschen Solidarität mit den Protagonisten dieses Teils der westdeutschen Grünen-Historie. Wär’s nicht peinlich, müsste man Mitleid haben.